Gründerin der Hans-von-der-Au-Gruppe

Hilda Fraas, liebevoll von den Gruppenmitgliedern „Tante Hilda“ genannt, war über lange Jahre bzw. Jahrzehnte, die gute Seele der Hans-von-der-Au-Gruppe Erbach. Ihre Liebe zum Brauchtum war schlechthin ihr Lebensinhalt, der öfters die persönlichen Bedürfnisse oder Wünsche zurückstehen ließen.


Der Lebenslauf von Hilda Fraas

Hilda Fraas wurde am 29. 11. 14 im badischen Lörrach als Hilda Schenka geboren. Ihre Eltern hießen Berta und Paul Schenka. 1921 zog sie zusammen mit ihren Eltern nach Erbach im Odenwald, wo ihr Vater als Direktor die Leitung der hier ansässigen Tuchfabrik GmbH übernahm.
Ab 1937 übernahm Hilda Fraas die Stelle der Organistin in der ev. Stadtkirche, die sie bis 1986 innehatte. 1944 fand die Hochzeit mit dem Oberzollinspektor Heinz Fraas statt. Dieser wurde 1945 in den Wirren des 2. Weltkrieges als vermisst gemeldet. Aus dieser Ehe ging der Sohn Günter Fraas hervor.
Nach langem, erfüllten und in die Erhaltung des Brauchtums gestellten Lebens verstarb Hilda Fraas am Heiligabend 1999 im Alter von 85 Jahren. In diesem Jahr feierte die „Hans-von-der-Au-Gruppe“ ihr 50jähriges Jubiläum.

Wegbegleiter von Hilda Fraas (v. l. W. Borchers, Else Büchler, Günther Holtermann)

Durch den ev. Stadtpfarrer Otto Hahn kam Hilda Fraas mit der Jugendarbeit der ev. Kirche in Berührung, die ihr größerer Einblick in die allgemeine Jugendarbeit verschaffte. Ihr Engagement und die Weiterbildung in der Jugendbewegung waren die Grundlage für ihre spätere Pionierarbeit im Aufbau einer Folkloregruppe.
In diese Zeit fielen auch die Kontakte zum Odenwaldclub und dem Pfarrer Friedrich von der Au.
Die ersten Berührungspunkte zum Odenwälder Brauchtum und speziell zur Odenwälder Tracht kamen hier zustande. Im weiteren Verlauf dieser Aktivitäten lernte sie auch Dr. Dr. Hans von der Au kennen, der auch kurzzeitig eine Pfarrstelle in Erbach innehatte.
Hilda Fraas und Dr. Dr. Hans von der Au erkannten, dass beiderseits gleicher Interessen für Tracht, Lied und Tanz vorlagen. Gemeinsam mit Dr. Dr. Hans von der Au machte sich Hilda Fraas im Odenwald, das meiste zu Fuß, auf den Weg, um in den kleinen Odenwalddörfern nach alten

Wegbegleiter von Hilda Fraas (v. l. Änne Goldschmidt, Hella Heynmöller, Frau. Masarova)

Trachten, Tänzen und Liedern zu forschen und diese aufzuschreiben und so zu erhalten. Denn nur noch auf den Dörfern ließen sich alte Traditionen und Brauchtum vorfinden. In den größeren Städten des Odenwaldes waren diese Kleinode bereits verschwunden.
Durch Dr. Dr. Hans von der Au wurden Volkstanztreffen, u. a. auf der Burg Breuberg, organisiert, wo er die Jugend für Volkstanz und Brauchtum zu begeistern wusste. Dafür stand ihm Hilda Fraas als versierte Tänzerin zur Seite, denn Dr. Dr. Hans von der Au konnte zwar die Tänze beschreiben, für die praktische Ausführung griff er jedoch liebend gerne auf Hilda Fraas zurück.
1948 fand in Heppenheim der Bauerntag statt. Durch Vermittlung von Dr. Dr. Hans von der Au wurde die Bitte an Hilda Fraas heran getragen, eine Tanzgruppe mit Odenwälder Volkstänzen während dieser Veranstaltung auftreten zu lassen.
Hilda Fraas stellte eine Tanzgruppe aus lauter jungen Odenwälder Frauen zusammen, die während des Heppenheimer Bauerntages auftraten. Dort musste sie sich aber die Frage gefallen lassen: „Gibt es bei Euch im Odenwald keine jungen Burschen?“

Nach dem Heppenheimer Auftritt zerfiel die Tanzgruppe wieder, bis 1949 der Bürgermeister der Stadt Erbach, Herr Leonhard Volk, an Hilda Fraas mit der Bitte heran trat, den Erbacher Wiesenmarkt mit Odenwälder Brauchtum zu beleben. Zur Unterstützung dieses Planes wurden ihr Herr Willi Fickelscher und der Rektor der Erbacher Schule, Herr Peter Weber, zur Seite gestellt.
Tanzwillige Mädchen waren bald gefunden. Die Odenwälder Burschen waren aber nicht so leicht zu bewegen, das Tanzbein zu schwingen. So verfiel Hilda Fraas auf die Idee, die tanzwilligen Mädchen ihre Tanzpartner selbst suchen zu lassen. Viele heimatvertriebene junge Burschen ließen sich nicht lange bitten und stellten sich als Tanzpartner zur Verfügung.
Hilda Fraas blieb nichts anderes übrig, als wieder über die Dörfer des Odenwaldes zu ziehen um sich die dort verbliebenen alten Trachtenteile auszuleihen und einzusammeln. In mühevoller Kleinarbeit wurden Trachtenteile nach genäht oder die alten Trachtenteile wieder hergerichtet. Die ersten Darbietungen Odenwälder Tänze und Mundartgedichte fanden auf dem Erbacher Wiesenmarkt großen Anklang.
Leider verlor die Stadt Erbach nach der erfolgreichen Veranstaltung das Interesse an einem weiteren Fortbestand der Gruppierung. Die Bezahlung der Musiker, die die Stadt Erbach bis hierher übernommen hatten, wurde eingestellt und die Musiker waren nicht bereit ohne Entgelt zu spielen. Den damaligen Gruppenmitgliedern war es zu verdanken, dass das kleine Pflänzchen „Trachtengruppe“ nicht verloren ging, denn die Tänzerinnen und Tänzer bezahlten die Gage der Musiker zunächst aus eigener Tasche.
In diesen schweren Zeiten kreuzten sich die Wege der Hilda Fraas mit Frau Else Büchler, einer Akkordeonlehrerin. Frau Büchler ließ sich zunächst ihre Arbeit als Musikerin ebenfalls bezahlen. Die Aufgabe gab ihr aber so viel Freude, dass sie sich schließlich weiter unentgeltlich in die Gruppenarbeit einbrachte. Mit Else Büchler war somit die Grundlage zur heutigen Volksmusik gelegt.
Die aufbauende Vereinsarbeit setzte sich bis 1954 fort. Nach einer Großveranstaltung kam es zu unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe, so dass diese sich in zwei Richtungen spaltete. Der Personenkreis um Hilda Fraas beschäftigte sich weiter mit Lied, Tanz und Brauchtum und nannte sich vorübergehend „Odenwälder Trachtengruppe – Volkstanzkreis Erbach“, bis sie nach dem Tod des Brauchtumsforschers Dr. Dr. Hans von der Au (21. 05. 55) am 10. 07. 55 dessen Namen als Gruppennamen annahm.

Wegbegleiter der Hilda Fraas (v. l. Dr. Dr. Hans von der Au und Fritz Lenz)

Über Jahrzehnte stand Hilda Fraas an der Spitze der Gruppe und war für ihre Weiterentwicklung verantwortlich.
Im Rahmen dieser aufopfernden Tätigkeit wurden ihr viele persönliche Auszeichnungen zuteil:
Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland
Elfenbeinplakette der Kreisstadt Erbach
Silberdukaten der Kreisstadt Erbach
Silberne und goldene Ehrennadel der HVT
Ehrenplakette in Bronze des Odenwaldkreises
Ehrenbrief des Landes Hessen
Verdiente Einwohnerin der Kreisstadt Erbach

Hilda Fraas bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch den Hess. Ministerpräsident Albert Oswald

Nach langjähriger und aufopfernder Vereinsarbeit für die „Hans-von-der-Au-Gruppe“ legte „Tante Hilda“ 1986 die Vereinsführung in jüngere Hände (Gerd Einwächter). Trotz der Übergabe des Marschallstabes blieb sie jedoch der Gruppe treu und stand mit ihrem profunden Wissen der Gruppe immer wieder mit Rat und Tat zur Seite.
Aber nicht nur, dass Hilda Fraas zwischenzeitlich in das Höhendorf Böllstein verzogen war, engagierte sie sich auch weiterhin im Brauchtum und fand in den Böllsteiner Landfrauen begeisterungsfähige Frauen, die sich das Wissen der Hilda Fraas um das Odenwälder Brauchtum zunutze machten.

Die Lebensphilosophie der Hilda Fraas

Hilda Fraas stellte nahezu ihr ganzes Leben in den Dienst zur Erhaltung des Brauchtums. Durch ihre Arbeit hat Hilda Fraas ganz wesentlich dazu beigetragen, das Odenwälder Brauchtum am Leben zu erhalten. Ihr ist es gelungen, traditionelles Brauchtum mit Weltoffenheit zu verbinden und zu pflegen. Kaum jemand hat die Bedeutung der lokalen Tradition für das Entstehen der internationalen Gemeinschaft so früh erkannt und zu nutzen gewusst, wie Hilda Fraas. Durch die Kontakte zu Gleichgesinnten im In- und Ausland hat sie sich zur Pionierin des Europäischen Gedankens gemacht. Sie kann mit Fug und Recht als eine der ersten Europäerinnen genannt werden, denn sie trug Mosaikstein für Mosaikstein zur Europäischen Versöhnung und Einigung bei.
Dank der Rührigkeit von Hilda Fraas erfreut sich die Hans-von-der-Au-Gruppe im In- und Ausland zunehmender Wertschätzung. Durch die Initiativen von Hilda Fraas gelang es, Völkerverbindende Kontakte zu Ländern jenseits des „Eisernen Vorhanges“ zu knüpfen und zu pflegen. Gruppenreisen führten so z. B. nach Polen, CSSR, Rumänien und Ungarn.

Wegbegleiter von Hilda Fraas (li. Jo Christe re. Leonte Socacin)

Aber auch zu westlichen Ländern, wie Schweden, Frankreich, Schottland, Portugal, um einige Länder zu nennen, fanden freundschaftliche Gruppenkontakte statt.
Diese Gruppenkontakte führten auch dazu, dass in Erbach unter Mithilfe des Kreisjugendpflegers, Herrn Karl-Heinz Mayer, 4 „Internationale Trachtenwochen“ stattfinden konnten.
Dr. Dr. Georg August Zinn, damaliger Ministerpräsident von Hessen, war der Schirmherr der 1. „Internationalen Trachtenwoche.
So entstand zu der französischen Tanzgruppe „Les Magnauds“ aus Pont de Beauvoisin (ehemaliges Resistanze-Gebiet) eine enge und herzliche Verbindung, die letztendlich von den örtlichen Kommunalpolitikern aufgegriffen wurde. Die Freundschaft beider Gruppen führte zu einer Städteverschwisterung beider Städte.

Wegbegleiter von Hilda Fraas (Philippe Charat) und die Verschwisterungsurkunde

Mittlerweile hat die Hans-von-der-Au-Gruppe nahezu alle europäischen Staaten bereist.
Das Brauchtum und die Völkerverständigung werden auch im 21. Jahrhundert im Zusammenleben der Völker Europas ihren gerechten Platz haben und daran war Hilda Fraas mit ihrer Lebensarbeit maßgeblich beteiligt.
So lässt es sich treffend zu dem nachfolgenden Spruch überleiten, den die „Hans-von-der-Au-Gruppe“ unter der Leitung von Hilda Fraas für sich ausgewählt hat und ihr Engagement danach ausrichtet:

„Lasset uns am Alten
So es gut ist halten,
aber auf dem alten Grund,
Neues bauen jede Stund.“


Quellen:
Archiv Stadt Erbach
Archiv Odenwaldkreis
Aufarbeitung der Bilder und Text: Manfred Kassimir

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