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Muss man nicht an wild gewordene Geister denken, wenn ein vollbesetzter Reisebus Runde um Runde um den Graf Franz auf dem Erbacher Marktplatz dreht? - Jene Geister- reiter, die am Donnerstag, den 06. 08. 1970 um 10.00 Uhr ihre traditionelle drei Ehrenrunden um den Graf Franz drehten, waren wir, die 40 Jungen und Mädchen der Hans- von-der-Au Gruppe, die von ihrem 15-tägigen Aufenthalt in Rumänien zurück kehrten.
Es war die längste Reise, die wir am Donnerstag, dem 23. 07. 1970 auf Einladung des Professor Leonte Socaciou (Bukarest) und des Kulturrates des Bezirkes Arges an- traten. Neu war auch, dass wir uns diesmal der Bahn anvertrauten.
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Frankfurt, Wien, Budapest, Bukarest: runde 30 Stunden auf der Schiene! Die Pass- kontrollen haben wir nicht gezählt. Formulare, Stempel und Sichtvermerke scheinen hier das Wichtigste zu sein. Im Hauptbahnhof von Bukarest lernten wir unsere Gastgeber kennen, die uns einen sehr herzlichen Empfang bereiteten: Offizielle des Kulturrates der Provinz Arges, Prof. Socaciou und Mitglieder der Tanzgruppe aus Curtea de Arges mit Blumen und ihren bunten Trachten.
Die Koffer verschwanden in dem bereit- gestellten Bus und herrliche aber auch ar- beitsreiche und anstrengende Tage und Stunden nahmen ihren Anfang. Übrigens stellten sich beim anschließenden Früh- stück die Letzten ihre Uhren eine Stunde vor, denn wir hatten ja OEZ. Der Tag gehörte ganz der Besichtigung von Bukarest und am Abend, nach 150 km Busfahrt, wurde uns in Curtea de Arges ein so herzlicher und überwältigender Empfang bereitet, der in seiner Art alles bisher er- lebte übertraf. |
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Angefüllt waren die folgenden Tage mit Besichtigungen, die uns mit der Geschichte die- ses Landes in seinen einmaligen und historisch bedeutsamen Bauwerken Alt-Rumäniens bekannt machten, z. B. die Klosterkirche und die Hofkirche in Curtea de Arges, das Ansamblul Baratiei in Cimpulung und an vielen anderen Orten des Landes. Auch das neue Gesicht lernten wir auf den vielen Fahrten kennen, wie uns auch die herrliche Berg- welt der Karparten begeisterte, und uns jeder Tag mit neuen Köstlichkeiten der rumäni- schen Küche verwöhnte. Auf diesen Fahrten von Curtea de Arges aus, wo wir für fünf Tage unser Zuhause fanden, sahen wir bereits die ersten riesigen Plakate, die unsere Auftritte unübersehbar ankün- digten. So wurde unser erster Auftritt in Rumänien, auf der Freilichtbühne den Curtea de Arges, mit großer Spannung erwartet.
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Ein wenig Herzklopfen hatten auch wir, denn es galt mit unserem 2-stündigen Programm aus Mu- sik, Liedern und Tänzen vor einem Publikum zu bestehen, das selbst noch in der Welt des Volks- tanzes und der Volksmusik lebt und kritisch zu urteilen weiss. Doch unser anfänglichen Bangen und die Zurückhaltung des Publikums wich bald einer Begeisterung, die manche Wiederholung erzwang., und die auch ihren Ausdruck darin fand in Aufmerksamkeiten, die uns wildfremde Men- schen zusteckten, sei es ein kleines besticktes |
Tuch, eine Trachtenpuppe, eine Anstecknadel oder auch nur ein mühsam erlerntes ?Danke schön?. Einen herzlichen Empfang bereiteten uns auch die Mitgliedernder Trachtengruppe von Cimpulung, die wir 1969 in Zvolen/CSSR kennenlernten. Der Ein- ladung dieser Gruppe verdankten wir nun unseren Aufenthalt in Rumänien. In ihren heimatlichen Trachten erwarteten sie uns vor dem Stadttor, gemeinsam mit den offi- ziellen Vertretern der Stadt. Zusammen lernten wir die Stadt und ihre Sehenswürdig- keiten kennen und verbrachten den Nachmittag auf der Schutzhütte ?Brusturet?, einem wildromantischen Tal der Südkarparten. Hier überraschte man uns mit einem Essen, das alleine eine Reise wert wäre. Einen prächtigen Strauß Bergblumen nahmen wir mit zu- rück nach Cimpulung; ein Gruß an die jungen deutschen Freunde.
Der nächste Tag bringt eine weitere Aufführung in Pitesti. Der Direktor des dortigen Automobilwerkes ?Dacia? übermittelt die Grüße der Arbeiterschaft an die jungen deutschen Menschen die mit ihrem ?Spectacel? dazu beitragen eine neue Freundschaft
zwischen beiden Ländern zu knüpfen und überreichte unserer Gruppe eine Bronzestatue. Eine Ehrung, die selbst unsere rumänischen Begleiter überrascht, denn, so sagte mir einer der anwesenden Herren, dieses Ge- schenk erhielten nur hohe Persönlichkeiten des politi- schen und kulturellen Lebens und das nur mit Einwilli- gung oder im Auftrag höchster rumänischer Stellen. Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern in Curtea de Arges und von den Mitglie- dern der dortigen Gruppe. Für zwei Nächte beherbergte uns die Pädagogische Hochschule von Pitesti. Auch hier wieder; volles Pro- gramm. Der Bürgermeister der Tobolaren hatte eine unserer Aufführungen erlebt und so kommt es zu einem weiteren Auftritt unserer Gruppe.
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Die Tracht wird nicht mehr trocken, denn nach der Verabschiedung unserer Gruppe durch den Vizepräsidenten des Kulturrates der Provinz Arges in Pitesti geht die Fahrt nach Sibiu (Hermannstadt). Deutlich sichtbar wird allen ein Teil der Geschichte dieses Landes bei dieser Fahrt nach Siebenbürgen. Und mitten in Rumänien tanzen wir vor fast ausschließlich ?heimischen Publikum?. Kein Wunder, dass man nicht nur mitklatschte, sondern unsere Lieder einfach mitsang. Nach einem morgendlichen Einkaufsbummel ging es weiter nach Brasov (Kronstadt). Hier blieben wir zwei Tage. Auch bei unserem 6. und letzten Auftritt tanzen und singen wir vor ?heimischen Publikum?. Die Übersetzung wird zur reinen Formsache. Unser ?Muss I denn?, von allen gesungen, galt auch für uns, denn noch drei Tage und auch wir mussten ?Zum Städtele hinaus?. Den Sonntag verbrachten wir in Brasov und auf der ?Schuler Au?, einem beliebten Ausflugsziel und Wintersportgebiet jener Gegend in den Karpaten.
Die Gedanken waren bereits am Schwarzen Meer.
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Um 04.00 Uhr starete der Bus. Auf dieser Fahrt bekamen wir einen kleinen Eindruck von den schweren Überschwemmungen die- sen Jahres. Dann endlich; das Schwarze Meer. Nach einer Wasserprobe sitzen wir wieder im Bus und fahren immer der Küste entlang nach Mangalia. Hier beginnt für uns der ?Urlaub?: herrliche Dreibettzimmer mit allem Komfort, mit Balkon und Blick aufs Meer. Ein Hotel neben dem anderen, archi- |
tektonisch mit viel Geschmack und Phantasie gestaltet. Man weiss nicht mehr was mehr Erstaunen hervorruft, die neuen Bauten, die prächtigen Anlagen, der schöne Strand oder das herrlich blaue Wasser vor der Tür.Aus Trachtenträgern wurden waschechte Urlauber. Abendessen, ein nächtlicher Strandbummel und für die ganz Unentwegten ein kühles Bad waren nach dieser langen Busfahrt ein schöner Abschluss. Leider ging es bereits am nächsten Tag wieder nach Bukarest um von dort aus die Heimreise anzutreten. Um Mitternacht standen wir mit unseren Koffern bereits wieder am Bukarester Haupt- bahnhof. Wie erstaunt waren wir auf dem Bahnsteig viele bekannte Gesichter zu sehen. 150 Km waren sie gefahren, Mitglieder der Tanzgruppe aus Curtea de Arges, um uns zu verabschieden. 01.40 Uhr verlässt der ?Wiener Walzer? Bukarest in Richtung Deutschland. Wer Platz am Fenster bekommen hat, schwenkt die Taschentücher. ?Auf Wiedersehen!? rufen sie uns nach. ?Auf Wiedersehen am 29. August 1970 bei uns in Erbach? rufen wir zurück während der Zug mit zunehmender Geschwindigkeit in die dunkle Nacht hinaus rollt.
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