Das Töpferhandwerk


(von Manfred Kassimir)
Das Töpferhandwerk zählt neben der Herstellung von Werkzeug und Jagdwaffen zum ältesten Handwerk der Menschheit. Ton ist ein Material, der überall auf der Welt in natürlicher Form vorzufinden ist. Bereits in prähistorischer Zeit wurde Ton als Werkstoff vom Menschen genutzt. Ein hier zitierter überlieferter Spruch macht die Fertigkeit des Töpfers deutlich

„Aus der Erde mit Verstand,
macht der Töpfer allerhand“


Die Erfindung der Töpferscheibe wird der vorchristlichen Zivilisation der Ägypter zugeschrieben. Über Kreta, Zypern und Rom gelangte die Tonverarbeitungstechnik auch nach Germanien, insbesondere ins heutige Hessenland und somit auch in den Odenwald.
Bereit 400 v. Chr. ist für das Gebiet des Odenwaldes der Gebrauch der Töpferscheibe nachweisbar und begleitete die Menschen durchgehend bis ins 19. Jahrhundert.
Durch den Einsatz der Töpferscheibe entwickelten sich unerschöpfliche Formen und Gestaltungsmöglichkeiten von Gebrauchsgegenständen, die bis in die heutige Zeit Bestand haben.

Erst im 19. Jahrhundert bekam die Töpferware ernsthafte Konkurrenz durch die Emailleherstellung und später durch Aluminium.
Hatte die Herstellung von Gebrauchsgegenständen für den täglichen Bedarf zunächst Vorrang, so entwickelte sich langsam, aber kontinuierlich eine selbstständige Kunst, die ihren Ausdruck in der Herstellung von Bodenkacheln, Ofenkacheln, religiöse Reliefs für Hausnischen und Bildstöcken fand.
Bereits im 14. Jahrhundert war das Töpferhandwerk ein anerkannter Beruf in Form einer eigenen Zunft (Zunftbrief 1388 für die Waldenburger Töpfer).
Die fertige Töpferware fand in ländlichen sowie in städtischen Haushalten großen Zuspruch.

Die Töpferzunft im Odenwald
Die ersten Erzeugnisse eigener Keramikherstellung im Odenwald sind auf das beginnende Mittelalter datiert, obschon sicherlich bereits früher Keramik hergestellt wurde.
Die Vielfalt der Töpferware beschränkte sich zunächst auf die Herstellung von Häfen und Trinkbechern. Teller, Tassen und Pfannen fanden erst später ihren Weg aus der Odenwälder Töpferwerkstatt in die Haushalte.
Nach erfolgreicher Ausbreitung des Töpferhandwerks war es unumgänglich durch ein Zunftwesen auch im Odenwald eine gewisse Ordnung zu schaffen. So durfte nur eine gewisse Anzahl von Töpferwerkstätten in der Region ihr Handwerk ausüben. Handwerksgesellen hatten eine Wanderschaft von zwei Jahren auf sich zu nehmen. Durch diese wandernden Gesellen, die aus vielen Gegenden Europas neue Formen und Techniken mitbrachten, wurde das Odenwälder Töpferhandwerk maßgeblich beeinflusst.
Bekannt ist, dass die Töpferfamilie Müller in Erbach bereits seit vielen Generationen in Erbach in der „Mühlgasse“, der heutigen Bahnstraße ansässig war und dort ihrem Gewerbe nachging und heute noch unter dem Firmennamen „Dönig und Müller“ töpfert.
Der Ton
Der Werkstoff Ton ist im Odenwald weit verbreitet, so z. B. um Dieburg, wo das dortige Tongebiet bereits von den Römern als Tonabbaugebiet genutzt wurde.

Aber auch in Dorf Erbach, im jetzigen Industriegebiet „Gräsig“, wurde Ton im Tageabbau gewonnen. Der Ton ist ein Rohstoff, der aus Verwitterungsprodukten von feldspathaltigen Gesteinen, wie z. B. Basalt und Granit der Sedimentgesteine besteht, das über Jahrmillionen hinweg dem Klima, Wasser, Wind und chemischen Reaktionen ausgesetzt war und durch diese Einflüsse pulverisiert wurde. So entstand der Werkstoff „Ton“, je nach Grundlage der Gesteine in den vielfältigsten Farbschattierungen. Die häufigste Farbe ist braun und gelb, es kann aber auch die Farbe rot und grau aufweisen.
Ton hat die Eigenschaft bis zu 30 % Wasser zu binden und dieses wieder abzugeben. Die Tonmasse fühlt sich speckig an. Für die Töpferei ist es wichtig, dass sich der Ton in feuchtem Zustand plastisch formen lässt. Wird der Ton stark erhitzt, erhärtet das Material. Die Mischung verschiedener Tone beeinflusst die Eigenschaft des Materials. Durch die Wasseraufnahme quillt der Ton auf, in der Trockenphase schwindet der Ton ohne aber dabei seine Form zu verlieren.
Gewinnung des Tones
Die Gewinnung des Tones, d. h. der Tonabbau, war früher auch die Aufgabe des Töpfers. Überwiegend erfolgte der Abbau des Tones im Tagabbau, wenn die Tonschicht in der obersten Schicht vorzufinden war. Vergleichsweise schwerer war der Abbau, wenn der wertvolle Ton in tieferen Lagen angesiedelt war. (Abbaugebiet Eppertshausen).
Durch die Töpfer wurde zunächst die Örtlichkeit ausgesucht, wo der Tonabbau betrieben werden konnte und die obere unbrauchbrauchbare Schicht so gering wie möglich war.
War die Grabungsstelle festgelegt, wurde ein Loch gegraben, das sich nach unten glockenartig erweiterte. Traf der Töpfer dann auf die Tonschicht, wurde diese in großen Brocken herausgeschlagen, durch das Loch nach außen befördert und im Nahbereich des Abbaugebietes gelagert.
Vorzugsweise wurden diese Arbeiten im Winter mit vorherrschendem Frost durchgeführt. So konnte der Ton gefahrlos abgebaut werden, ohne dass mit nachrutschenden Erdmassen gerechnet werden musste.
Der geförderte Ton wurde, je nach Bedarf, in Pferdefuhrwerken zur Werkstatt transportiert und im „Erdekeller“ gelagert. Dort wurde der Ton gewässert, um eine weitere Verwitterung des Tones herbeizuführen.

Aufarbeitung des Tones
Bevor der Töpfer den abgebauten Ton als formbare Masse verarbeiten konnte, musste der Ton zu einer homogenen Masse aufbereitet werden. So wurden die Tonbrocken zerkleinert, mit Wasser angereichert und getreten. Während des Tretens wurden Verunreinigungen aus der Masse herausgelesen. Die Tonaufbereitung war zu Ende, wenn die Masse geschmeidig, formbar und absolut durchmischt war. War dies nicht der Fall, bestand beim Brennen die Gefahr, dass durch unterschiedliche Spannung in der Masse das Werkstück zerstört wurde.
Ebenso schädlich waren Luftblasen, die in der aufbereiteten Tonmasse eingeschlossen waren. Ein Fortschritt setzte mit der aufkommenden Elektrizität ein. Mit Hilfe eines überdimensionalen Fleischwolfes wurde der Ton in dünnen Scheiben in den Trichter eingeführt und durch gegenläufige Walzen zerdrückt. Die innen liegende Schnecke mischte den Ton und beförderte ihn nach außen.
Die Töpferscheibe
Die Erfindung der Töpferscheibe wird den „Alten Ägyptern“ zugeschrieben.
Die alte Töpferscheibe war eine waagrecht rotierende Scheibe, die mittels Fußbewegung angetrieben wurde. Eine Weiterentwicklung war die Drehscheibe mit einem Schwungrad, das für eine konstantere Rotationsbewegung sorgte. Mit Einführung der Elektrizität nahm auch hier der Fortschritt seinen Gang.
Das Formen und Drehen
Mit dem aufbereiteten Ton hat der Töpfer nun eine plastische Masse, die er für seine Arbeit an der Töpferscheibe nutzen kann.
Der Ton wird portioniert und in entsprechend große Klöße (Kläjs) aufgeteilt. Der Kloß wird zentriert auf die Töpferscheibe aufgesetzt und mittig mit dem Daumen aufgebrochen. Durch die Rotationsbewegung der Scheibe und dem fachmännischen angesetzten Fingerdruck wird der Kloß in Form gebracht und Werkstücke, wie z. B. Teller, Schalen, Vasen und andere Gefäße modelliert. Das Formen des Tones mit den Händen ist über die Jahrhunderte hinweg immer gleich geblieben.
Grundlage beim Formen des Tones mit den Händen ist, dass diese immer feucht gehalten werden müssen. Mit leichtem Druck der rechten Hand und mit Abstützung der linken Hand wird der Ton nach oben gezogen. Der Töpfer hat darauf zu achten, dass beim Hochziehen eine gleichmäßige Wandstärke erreicht wird. Mit anschließendem Knöcheldruck (er verursacht die typischen Drehrillen) und Schienenzug wird die vorgesehene Höhe des Gefäßes erreicht. Das Bord (der obere Abschluss des Werkstückes) wird gebildet. Üblicherweise ist das Bord stärker als die übrige Wandung.
Ein Töpferspruch ist überliefert, der entsprechend eine Aussage über die Handfertigkeit eines Töpfers macht:
„unne dinn un owwe dick
is dem Häffner soi Hauptkunststick.“


oder

„unne wie e Roaseblatt
owwe wie e Wacherad.“
Das benötigte Werkzeug, Schiene, Filz, Lomel und Draht, liegt bereits vor Beginn der Arbeit griffbereit in der Nähe der Töpferscheibe.
Ist die Form vollendet, wird das Werkstück mit einem dünnen Schneidedraht von der Töpferscheibe gelöst. Zum Trocknen wird die Form auf ein Holzgestell abgestellt. Sind die Werkstücke soweit trocken, dass sie „Lederhärte“ angenommen haben, man spricht von „grün werden“, werden Henkel angebracht oder die Zutten gebildet.
In vielen Fällen erhalten die geformten Tongefäße eine Verzierung, die noch vor dem Brennen angebracht wird. Nach der Trocknungsphase ist es möglich, durch verschiedene Geräte, z. B. einer „Lomel“ das Werkstück zu bearbeiten, so z. B. das Einritzen von Figuren oder mit Durchbrucharbeiten.
Eine besondere Kunstfertigkeit des Töpfers ist in der Herstellung eines Gefäßes mit Schraubverschluss zu finden. Die Schwierigkeit der Herstellung besteht darin, am Halsausschnitt eines Topfes ein innen liegendes Gewinde einzubringen und den dazu gehörigen Deckel mit Außengewinde zu versehen. Für den Brand muss genau der Schwund des Materials berechnet werden, damit Gefäß und Deckel nach dem Brand genau zusammen passen. Schließlich soll das Gefäß für den Gebrauch „dicht“ sein.
Unterschiedlich große Schienen sind weitere Arbeitsgeräte, die an die Außenwand des Tongefäßes angesetzt werden, um die Oberfläche zu glätten.
Eine Art der Verzierung ergibt sich, wenn das Werkstück mit andersfarbigen Ton (Schlicker) übergossen wird. Dieser Vorgang wird als „engobieren“ bezeichnet. Nach Antrocknung kann mit spitzem Werkzeug ein Teil des Schlicker wieder entfernt werden und es bleiben entsprechende Muster auf dem Werkstück zurück. Beim späteren Brennen geht der Schlicker mit dem eigentlichen Ton eine Verbindung ein.
Ist das Werkstück engobiert und getrocknet, kann mit der Bemalung mittels „Malhörnchen“ begonnen werden. Ein Malhörnchen ist ein kleines rundes Tongefäß mit großer Öffnung zum Befüllen mit Farbe und einer kleinen Öffnung, die mit einem Gänsefederkiel bestückt ist. Die Bemalung entsteht ohne Schablone aus dem Handgelenk des Töpfers heraus.
Ist die Farbe getrocknet, wird das Werkstück mit einer Glasur übergossen.
Glasuren bestehen aus Mineralien (Quarzsand, Erdalkali und Alkali-Oxide). Beim Brennen entsteht eine glasähnliche Schicht. Das Werkstück wird durch die Glasur wasserundurchlässig. Die Glasur wird, je nach Technik, auf den ungebrannten Ton oder nach dem ersten Brand aufgetragen. Die Kunst des Töpfers besteht darin, die erwünschten Farben mittels Beimengung verschiedener Stoffe zu bestimmen. Viele der heute tätigen Töpfer wahren immer noch ihr Familienüberliefertes Berufsgeheimnis der Zusammensetzung der Farbgebenden Glasur.
Eine weitere Methode der Glasur ist die aus Frankreich eingeführte „Fayence“. Die Fayence wird unter Verwendung von Zinn hergestellt und zeichnet sich durch absolute Wasserundurchlässigkeit aus. Die Oberflächenbeschaffenheit der Fayence ist weiß und ist gut für eine weitere Bemalung geeignet. Es gibt unterschiedliche Techniken wie die Rohware des Töpfers behandelt wird. So wird z. B. die Rohware mit einem „Ersten Brand“ gebrannt und ein „Zweiter Brand“ erfolgt nach der der künstlerischen Verzierung.

Das Brennen
Bevor die gefertigten Werkstücke zum Brennen in den Brennofen geschoben werden, müssen diese zuvor luftgetrocknet werden. Der Schwund, der sich hier bei den Werkstücken einstellt liegt zwischen 8 und 15 Prozent.
Zum Befeuern des Brennofens werden für einen Brand 4-5 Raummeter Holz benötigt. Vorzugsweise Nadelholz wegen dem Harzgehalt. In der Regel wurde das Brennholz vom Töpfermeister bei Holzauktionen ersteigert. Das Holz musste trocken und fein aufgespaltet sein, denn im Brennofen musste eine Temperatur zw. 900 bis 950 Grad Celsius erreicht werden.
War der Brennofen voll gesetzt, wurde dieser angesteckt, d. h. der Brennofen wurde angeheizt. Das Vorfeuer, auch „Rauchfeuer“ genannt, wurde in kurzen Abständen nachgelegt, bis die Rotglut erreicht war. Durch ein Schauloch wurde der Glasurfluss kontrolliert. Das Innere des Brennofens erreicht schließlich eine Temperatur zw. 950 bis 1100 Grad.
Der Prozess, der beim Brennen eintritt, beginnt bei ca. 650 Grad. Dabei verwandelt der Ton sich in so genannte „Scherben“, Das Gefäß wird hart; ist aber porös. Erst bei Temperaturen um 1100 Grad schließen sich die Poren des Werkstückes. Es wird wasserundurchlässig und erreicht seinen höchsten Härtegrad.
War die Brenndauer erreicht, man ging von 24 bis 32 Stunden aus, wurde die Befeuerung eingestellt und das Feuer erlosch. Für das Abkühlen des Brennofens wurden ca. 24 Stunden bis drei Tage veranschlagt. (Abweichungen, der einzelnen Daten sind, je nach Zusammensetzung des Materials, möglich).
Der Vertrieb
Nach erfolgreichem Brand wurde die Töpferware zum Verkauf angeboten. Hierzu zog der Töpfer mit seiner Ware, die er in einem ausgepolsterten Leiterwagen mit sich führte, über Land. Beim Erreichen einer Stadt oder Dorf rief er den Spruch aus:
Eerdenes Geschirr! Eerdenes Geschirr! Eerdenes!“
um auf seine Ware aufmerksam zu machen.
Oder der Töpfer besuchte größere Märkte und Messen im näheren und weiteren Umfeld, so z. B. die „Frankfurter Dippemess“, welche von dem Töpferangebot ihren Namen erhielt.
Die meisten Töpferwaren waren für den täglichen Gebrauch bestimmt. Ein überlieferter Spruch verdeutlicht die Bedeutung der Tongefäße in allen Bevölkerungsschichten:

„Jetzt hot sell Häfele dreißig Johr g`halte
un jetzt is mer`s kaputt `gange!“


Die Töpferware wurde mit einem eigenen Maß gemessen, dem Fassmaß. Ein Fass beinhaltete unterschiedliche Größen von Töpfen, Hafen usw. Es ist aber nicht überliefert, wie viele Einzelteile dieses „Fass“ barg.
Das Töpferhandwerk hatte sein eigenes Zunftwesen, das über die Qualität der Ware und die Anzahl der angesiedelten Werkstätten wachte.
Albrecht Dr., Peter u. Wolniak Horst Die Geschichte des Handwerks
Bader, Emil Bauerntöpferei im Odenwald – Zentralanzeiger für den Odw. 06.12.27
Bauermerth, Karl Der „Eintopf“ der hess. Töpfer
Blickhan, Karl Häfner in Eppertshausen
Grein, Gerd Keramin aus dem Odenwald – Sammlungen der Volkskunst in Hessen
Güterbock, Gotthilde Kypernetische Betrachtungen üb. handgedrehte Gebrauchskeramik, Von den Odenwälder Häfnern und ihrer Kunst
Koch, Dr., U. Bodenständige Kunst des hess. Steinzeugs –Volk u. Scholle 1934
Mössinger, Friedrich Was uns der Odenwald erzählt Bd. III
Rebscher, Heinz Gelurt 2009
Spamer, Adolf Darstellung der hess. Töpfer- und Zieglerkunst
Weber, Otto Altes Handwerk im Odenwald
Winter Dr., Heinrich Der Odenwald
Kassimir, Manfred Text und Bilder

Ein Dank gebührt der Töpferei Dönig, Inhaber Bernd Dönig, und dem Museum Otzberg, namentlich Rolf Tilly, die mir erfreulicherweise viel Zeit opferten und meine Recherchen unterstützten.