Die Elfenbeinschnitzkunst in Erbach
(von Manfred Kassimir)

Bereits in vorgeschichtlicher Zeit machte sich der Mensch die Eigenschaften des Werkstoffes Elfenbein und Knochen zu Nutze.
Zum einen ist das Material hart und zum anderen lässt es sich mittels einfacher Werkzeuge gut bearbeiten.
Zumeist wurde Elfenbein und Knochen genutzt um daraus Gebrauchsgegenstände, wie z. B. Nadeln, Speerspitzen usw., herzustellen. Mit zunehmender Kunstfertigkeit wurden die Gegenstände des täglichen Gebrauchs mit Verzierungen versehen, woraus sich schließlich die Kunst des Schmuckherstellens entwickelte. Das Material wurde auch für die Herstellung religiöser Dinge, z. B. Kultfiguren, benutzt.
Bereits die alten Ägypter waren von dem Material ?Elfenbein? fasziniert. Für Staatssymbole, Armringe, Dolch- und Schwertgriffe, aber auch Intarsienarbeiten mit Elfenbein erfreuten sich großer Beliebtheit.
Im Mittelalter verlor die Faszination ?Elfenbein? nicht an Bedeutung. Sakrale Gegenstände, z. B. Kruzifixe, Reisealtäre, Bischofsstäbe und Kelche, waren Gegenstand der Herstellung.
Die Elfenbeinkunst fand Einzug in die Kunstsammlungen weltlicher Fürsten. Menschliche Körper oder Körperteile wurden in Elfenbein nachempfunden und wurden mit anderen Werkstoffen kombiniert.
Bedeutende Herstellungszentren befanden sich in Berlin, Nürnberg, Regensburg, Geislingen und Dieppe (Frankreich). Hauptsächlich bestand der Formenschatz aus Kleinplastiken, Reliefs, Portraitmedaillons und figürlicher Prunkgefäße. Später kam die Stadt Erbach als bedeutendes Zentrum der Elfenbeinkunst hinzu. Und dies zu einer Zeit als in Kunstkreisen durch das Aufkommen von Porzellan die Nachfrage nach Elfenbeinprodukten im Sinken begriffen war.


Wie kam das Elfenbein nach Erbach?

Graf Franz I (1754 ? 1823) unternahm, wie es in dieser Zeit für junge Adlige üblich war, eine so genannte ?Grand-Tour?, die ihn an viele Fürstenhäuser in Europa führte. Im Verlauf seiner Reise kam er auch mit dem Werkstoff ?Elfenbein? in Berührung. Als Kunstliebhaber verliebte er sich in das Elfenbein und ließ sich in der Verarbeitung des Materials unterweisen. Sein Ziel war es, das Elfenbeinmaterial und die Verarbeitungsweise in seiner Grafschaft Erbach einzuführen. Dort war bereits das Holz, Knochen und Horn verarbeitende Gewerbe vorhanden.

So richtete Graf Franz I in seinem Schloss eine Musterwerkstatt ein, um den Werkstoff ?Elfenbein? seinen Horndrehern und Holzdrechslern in der Verarbeitung näher zu bringen.
Das Augenmerk wurde zunächst auf gegenständliche Arbeiten gerichtet. Schachspiele, Tafelgeräte, Deckeldosen, Vasen und Schalen wurden gefertigt.
Am 17.07.1783 wurde die Zunft der Dreher und Drechsler gegründet. Um die Möglichkeit der Elfenbeinverarbeitung aufzuzeigen, legte Graf Franz I den Dreh- und Drechslermeistern 12 selbst gefertigte Arbeiten vor. Diese ernannten ihn daraufhin zu ihrem Obermeister. Das Amt des Obermeisters behielt er bis zu seinem Tod 1823. Um in der Elfenbeinzunft den Titel ?Meister? zu erlangen, mussten als Prüfungsarbeiten zwei selbst gefertigte Billardkugeln und ein Schachbrett vorgelegt werden.

Die Zunftgründung kann zu Recht als die Geburtsstunde des Erbacher Elfenbeinhandwerks bezeichnet werden. Aus dem Brothandwerk der Horn- und Holzdrechsler wurde ein Kunsthandwerk der Elfen-beinschnitzer.

Den wirklichen Aufschwung der Erbacher Elfenbeinschnitzerei erlebte Graf Franz I nicht mehr.
In der Folgezeit wurden von den Erbacher Elfenbeinschnitzern Broschen mit Jagd- oder Tiermotiven aus Elfenbein gearbeitet. Zu diesen Motiven wurden sie von Archivrat Christian Kehrer angeregt, der selbst begeisterter Tiermaler war.

1844 wurde eine Sonntagszeichenschule gegründet, die den Elfenbeinschnitzern die Möglichkeit bot, sich in der Anatomie der heimischen Tierwelt weiter zu bilden. Hirsche, Rehe oder Hundegruppen waren begehrte Motive, die großen Anklang bei den Käufern fanden.
Andere Formen der Gestaltung des Elfenbeins kamen durch wandernde Gesellen nach Erbach. Elfenbeinschnitzergesellen, die auf Wanderschaft gingen, brachten neue Ideen mit zurück in die Heimat und begannen diese in Elfenbein zu realisieren.
Auf diesem Weg gelangte das Blumenmotiv nach Erbach, das von Friedrich Hartmann aufgegriffen und in einzigartiger Weise umgesetzt wurde.

Friedrich Hartmann gestaltete die ?Erbacher Rose?, die 1873 bei der Weltausstellung in Wien präsentiert und prämiert wurde. Dadurch wurde die Stadt Erbach als Zentrum des Elfenbein verarbeitenden Handwerks weltweit bekannt. Eine große Nachfrage setzte ein. Die so genannte ?Rosenzeit? begann. Weitere Kunstobjekte folgten ? z. B. die Frauenhand mit Blume von Philipp Willmann.

Im Laufe der Zeit änderte sich die Mode und damit auch die Nachfrage nach Elfenbeinschmuck. Wurde zunächst versucht durch rationellere Arbeitsweise den Verlust des Verdienstes auszugleichen, was auf Kosten der Qualität ging, so wurde andererseits versucht, die Ausbildung der Elfenbeinschnitzer zu verbessern.
In dieser Zeit entschloss sich der hessische Staat zusammen mit der Stadt Erbach und der Unterstützung des Erbacher Grafenhauses eine ?Fachschule für Elfenbeinschnitzer und verwandte Gewerbe? zu gründen. 1892 wurde diese Schule eingerichtet. Durch die neu erworbenen Fähigkeiten erhielten die Elfenbeinschnitzer die Möglichkeit, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten. Die wirklichen Künstler stiegen auf figürliche Schnitzerei um.

Nahm die Nachfrage nach Elfenbein vor dem 1. Weltkrieg kontinuierlich ab, so erfolgte in der Nachkriegszeit ein richtiger Aufschwung. Die meisten hergestellten Exponate gingen ins Ausland und wurden mit Devisen bezahlt. Das trug zur Vollbeschäftigung unter den Elfenbeinschnitzern bei.
Zur Blütezeit der Elfenbeinschnitzerei beschäftigte das Elfenbein verarbeitende Gewerbe bis zu 1200 Arbeitskräfte.
In größeren Betrieben wurde Arbeitsteilung eingeführt. Ungelernte Kräfte besorgten die groben Vorarbeiten, der gelernte Elfenbeinschnitzer erledigte die Feinarbeit mit Bohrer, Schaber und Stichel. So konnten begehrte Motive, wie Edelweiß und Enzian, in größerem Umfang hergestellt werden.

Andere Wege der Elfenbeinverarbeitung wurden aufgezeigt ? Elfenbein mit Gold, Silber und Bernstein zu kombinieren.
Bereits 1911 wurde das 1. Elfenbeinmuseum auf Betreiben des Elfenbeinschnitzers Otto Glenz ins Leben gerufen. Mit Exponaten einheimischer Elfenbeinschnitzer als auch die vom Grafenhaus zur Verfügung gestellten Arbeiten von Graf Franz I brachten einen Überblick über die geleistete Arbeit der Elfenbeinhandwerker.
Höhen und Tiefen des Elfenbein verarbeitenden Gewerbes folgten dicht aufeinander. Die USA, eines der größten Importländer der Odenwälder Schnitzkunst, erhöhten ihre Zollabgaben derart, dass der Handel zwischen beiden Ländern nahezu zum Erliegen kam. Die Länder Südamerika, die sakrale Gegenstände importierten, und Afrika mit heimischen Tieren, blieben als Abnehmer der Erbacher Schnitzkunst erhalten.

Ferner erbrachte die Erfindung des Spritzgussverfahrens erhebliche Konkurrenz für die Elfenbeinverarbeitung. Die gleichen Motive konnten nun mittels des neuen Verfahrens wesentlich billiger und in größerer Anzahl aus Plastik hergestellt werden.

Nach längerer Stillstandsphase durfte wieder eine neue Blütenzeit erlebt werden.
Das Deutsche Winterhilfswerk beauftragte das Odenwälder Elfenbeinschnitzhandwerk mit der Herstellung von Edelweißblüten und Narzissen und sorgte damit für eine Vollbeschäftigung von ca. 800 Arbeitern.

Der 2. Weltkrieg brachte die Elfenbeinverarbeitung fast zum Erliegen. Elfenbein war rar.
Man behalf sich in dieser Zeit damit, dass die Kunstgegenstände in Holz geschnitzt wurden.
1955 ging die ?Fachschule für Elfenbein und verwandte Gewerbe? an die Kreisberufsschule über. Ab dieser Zeit nennt sie sich ?Berufsfachschule für Holz und Elfenbein verarbeitendes Handwerk? und ist in ihrer Art einmalig in Europa.
1966 wurde das Elfenbeinmuseum aus dem Schloss ausgelagert und erhielt eigene Räumlichkeiten in der Werner-Borchers-Halle. Bereits 1971 wurde das Museum durch Exponate aus der ganzen Welt erweitert und nennt sich nun ?Deutsches Elfenbeinmuseum Erbach?. Es werden bis zu 2000 Kunstgegenstände verschiedener Epochen und Stilrichtungen gezeigt. Regelmäßige Sonderausstellungen der verschiedensten Art bereichern das Museum.
Bis 1989 wurde ausschließlich Elfenbein in den Erbacher Werkstätten verarbeitet. Dies änderte sich schlagartig, als das Artenschutzabkommen verabschiedet wurde.

Die afrikanischen Elefanten waren, bedingt durch den Elfenbeinbedarf, vom Aussterben bedroht. Durch die Bestimmungen des Artensschutzabkommens wurde es untersagt, Elfenbein generell einzuführen. Für die in Deutschland gelagerten Bestände wurden so genannte ?Cites-Bescheinigungen? ausgestellt, die den rechtmäßigen Status des Elfenbeins belegten.
Für das Elfenbein verarbeitende Gewerbe zogen dunkle Wolken auf. Ersatzmaterial musste gesucht werden. Hier eröffnete sich die Möglichkeit, Zugriff auf das Mammut-Elfenbein zu erlangen, das im Permafrost Jakutiens lagerte und in den Sommermonaten frei gelegt werden konnte.

Das eiszeitliche Mammut-Elfenbein weist ähnliche Strukturen wie das Elfenbein des Elefanten auf. Durch die lange Lagerzeit im Permafrost haben sich Risse und Verfärbungen von beige bis schwarz gebildet, die bei der Verarbeitung einen eigenen unverwechselbaren Charakter aufweisen und diesen Werkstoff einzigartig werden lassen.
An die Elfenbeinschnitzer wird hier eine große Anforderung gestellt, um den eigenen Charakter des Mammut-Elfenbeins zu erhalten bzw. zur Geltung zu bringen.
Weitere Ersatzstoffe zur Elfenbeinverarbeitung ist die Tagua-Nuss. Diese ist die essbare Frucht einer Palmenart, die nach einjähriger Trockenzeit die Härte von Elfenbein erreicht.

Der Rohstoff ?Elfenbein?
Elfenbein ist ein cremeweißes, feinkörniges Zahnbein. Die schichtweise angelegte Struktur hat mit Wachstum und Ernährung zu tun. Der Zahn wird von innen nach außen gebildet, sodass die älteste Schicht des Zahnes außen und die jüngste Schicht innen liegt.
Elfenbein besteht zu 60 % aus phosphorsaurem Kalk und 40 % Knorpelsubstanz. Der Wassergehalt liegt bei frischem Elfenbein bei 20-25 % und ca. 15 % in getrocknetem Zustand.
Der Stoßzahn des Elefanten wird bis zu 3 Meter lang und bis ca. 75 kg schwer. 1/3 des Zahnes ist massiv, 2/3, bedingt, durch die Pulpa, hohl, wobei die Hohlung zur Zahnwurzel hin immer größer wird.

Als Elfenbein im engsten Sinne werden die Stoßzähne des indischen und des afrikanischen Elefanten bezeichnet. Im weiteren Sinn zählen die Zähne des Narwals, die Hauer des Walrosses, das Zahnbein des Nilpferdes und die Zähne des Potwales hinzu.
Zu den Eigenschaften des Elfenbeins zählen die Transparenz, die feine Aderung und das warme Ertastgefühl.

Der Rohstoff Mammut-Elfenbein
Das Mammut-Elfenbein stammt von einer in der letzten Eiszeit ausgestorbenen Elefantenart. Es waren typische Bewohner der Steppe und Pflanzenfresser. Mammut-Elfenbein wird überwiegend in der Perma-Frostzone Jakutiens vorgefunden und geborgen. Es unterliegt nicht dem Artenschutzabkommen. Der Mammutstoßzahn ist 4-5 Meter lang und wiegt bis zu 125 kg.
Das Mammut-Elfenbein weist ähnliche Eigenschaften wie Elfenbein auf. Durch die lange Lagerzeit im Eis haben sich runde Einrisse gebildet, die das Material als einzigartig und unverwechselbar werden lassen.
Der Elfenbeinschnitzer
Die Ausbildung zum Elfenbeinschnitzer erfolgt ausschließlich in der ?Fachschule für Elfenbein und verwandte Gewerbe? in Michelstadt. Die Ausbildung dauert 3 Jahre. Voraussetzung einer solchen Lehre sind handwerkliches Geschick, Formgefühl, Phantasie und Motivation. Zu den Grundkenntnissen gehören das Formen und das Modellieren.
Außer mit dem Werkstoff ?Elfenbein? wird der Umgang mit anderen Materialien, wie z. B. Bernstein, Holz, Horn, Meerschaum, Perlmutt, und Kunstharz gelehrt, sodass die Schüler Werkstücke kombiniert mit unterschiedlichen Materialien aus einer Hand bearbeiten können.
Bei der Ausbildung wird großer Wert auf das Zeichnen und Modellieren gelegt, das die Grundlage dafür bildet, ein Werkstück von Anfang bis Ende mit Erfolg bearbeiten zu können.
Zu den Arbeitsgeräten gehören Kreis- Band- und Laubsäge, Fräsen verschiedener Größen, Schlauchbohrer, Raspel, Feilen, Schaber, Stichel, Zirkel und Gewindeschneider.

In Zeiten ohne Elektrizität gehörte noch ein rundes Glas gefüllt mit Wasser und eine Kerze zur Ausstattung des Elfenbeinschnitzers, eine so genannte ?Schusterlampe?. Mit dem Wasserglas und der Kerze konnte das Arbeiten mit Elfenbein auch bei hereinbrechender Dunkelheit fortgesetzt werden.

Das Drechseln
Das Werkstück ist in der Drechselbank eingespannt und wird in Rotation versetzt. Mittels eingesetzten Werkzeugs, das mit der Hand geführt wird, wird das gewünschte Werkstück gedrechselt.

Das Drehen
Das Drehen ist die Weiterverarbeitung des Rotationskörpers auf der Drehbank.

Das Schnitzen
Das zu fertigende Motiv wird zunächst auf einem Stück Papier skizziert.
Ein Elfenbeinstück erhält die entsprechende Größe der Skizze. Das skizzierte Muster wird auf das Elfenbein übertragen und mit der Laubsäge zugeschnitten. Mit verschiedenen Fräsköpfen werden die groben Umrisse des Motivs herausgearbeitet. Zur Verfeinerung der Figur kommt der Bohrschlauch zum Einsatz.

Zur weiteren Bearbeitung werden die feinen Arbeitsgeräte, wie z. B. Schaber, Stichel oder Feile in verschiedenen Größen zur Hand genommen. Nun ist ein gutes Auge, eine sichere Hand und viel Feingefühl erforderlich, um das begonnene Werk zu vollenden.
Die fertigen Werkstücke werden geschliffen und poliert. Früher nutzte man hierzu Schachtelhalm und fein geschlemmter Bimsstein. Heute erhält Spiritus, feiner Kalk oder geschlemmte Kreide den Vorzug um den letzten Schliff zu erreichen. Mit einer feinen Bürste wird das Kunstwerk gebürstet, um die unverwechselbare Struktur der Aderung des Elfenbeins hervor treten zu lassen.
Heute arbeiten im Odenwald noch 15 Betriebe im Elfenbein verarbeitenden Gewerbe.



Quellen:
Banerjee, Arun
Dreyer, P. u. Frölich
Heim, Ernst Wilh.
Internet
Meyer`s Lexikon
Orth, Corina
Schwinn, Georg
Somborn, Alfred
Weber, Otto
Wegel, Wilh.
Wikipedia
Unterscheidung zw. ind., afrik. und Mammutelfenbein
Elfenbeinschnitzerei und Elfenbeinhandwerk
Die Elfenbeinschnitzerei in Erbach
Elfenbein von Elefant und Mammut
Elfenbeinschnitzerei
Die Entwicklung, Wandel und die heut. Bedeutung des Elfenbeinverarb. Gewerbes in Erbach
Bundesverbandstag der Dreher und Elfenbeinschnitzer 1968
Elfenbein- und Beinschnitzerei in Erbach u. Geislingen
Altes Handwerk im Odenwald
Die Elfenbeinschnitzerei im Landkreis
Elfenbeinschnitzerei
Bild Schusterlampe
Bilder und Text
Museum Otzberg
Manfred Kassimir


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