Das Winteraustreiben im Odenwald
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Das „Winteraustreiben“ wird allgemein als Volksbrauchtum des Frühjahres verstanden. Dieses Brauchtum symbolisiert den Kampf zwischen Tag und Nacht und zwischen Wärme und Kälte. In diesem Sinne steht „Nacht“ und „Kälte“ für den Winter und „Tag“ und „Wärme“ für den Sommer. Hinter dem Winter verbirgt sich Entbehrung und Nahrungsmangel. Tritt der Frühling ein, verfliegen die Ängste der Menschen und diese erhalten neue Schaffenskraft. An Lätare werden Hoffnungen auf das kommende Frühjahr geweckt, d. h.: Die Erde erwacht zum Leben, der Winter wird endgültig vertrieben. Der Frühling, in der Literatur auch mit „Lenz“ umschrieben, steht vor der Tür. „Lätare Jerusalem“ übersetzt „Freue Dich Jerusalem“ drückt die Freude der nahenden Erlösung aus. Das Ritual des Winteraustreibens ist sicherlich ein vorchristliches Brauchtum, das im Zuge der Christianisierung mit in den christlichen Glauben integriert wurde. Die Zeit des „Winteraustreibens ist auf den Sonntag Lätare festgelegt. Lätare, auch der Mittfastensonntag genannt, ist der 4. Sonntag in der Osterfastenzeit und liegt genau in der Mitte der 40tägigen Zeit des Fastens. Im Odenwald beginnt das Ritual des „Winteraustreibens“ am Sonntag Lätare nach dem Kirchgang. Junge Burschen und Mädchen versammeln sich. Der Sommer und der Winter wird unter den Anwesenden ausgewählt oder war bereits schon vorher bestimmt. Nun müssen die beiden Gestalten als Sommer und Winter hergerichtet werden. Der Winter: |
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Der Winter erhält ein Strohkleid, das den gesamten Körper umhüllt. Vielerorts werden für die Gestalt des Winters auch Fichtenzweige verwendet oder er wird ganz in Stroh eingekleidet. Als Kopfbedeckung erhält der Winter einen Strohhut übergestülpt, der einem geflochtenen Bienenkorb nicht unähnlich ist. Aus der Hutspitze schaut die kleine Spitze einer Fichte heraus. Die kleinen Äste sind mit bunten Bändern geschmückt. Zur Vervollständigung des Winters wird dem Burschen ein großer „Flatschen“ in die Hand gedrückt, den er bei dem späteren Umzug von Haus zu Haus mitführt. Ein „Flatschen“ ist ein langer Kiefernstab, der entastet und weiß bis zum Wipfel geschält ist. Der Wipfel ist wieder mit bunten Bändern geschmückt. Der Sommer: |
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Sein Gegenpart, der Sommer, erhält ein immergrünes Kleid aus Efeu oder auch ein Kleid aus Bärlauchstrauch. Dieser Bärlauchstrauch, auch „Alfkraut“ genannt, wird im Wald gepflückt und mit geschickten Fingern zu Strängen geflochten. Mit diesen Bärlauchsträngen werden die Beine und der Oberkörper des Burschen oder Mädchen umwickelt. Der „Flatschen“ und der Strohhut vervollständigen das Bild des Sommers. Sind die beiden Gestalten „Sommer“ und „Winter“ hergerichtet, ziehen sie in Begleitung der Dorfjugend los, um den einzelnen Haushalten oder Gehöften des Dorfes einen Besuch abzustatten. |
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Die Dorfjugend führt während dieses Umzuges geflochtene und bunt geschmückte Körbe mit sich. Diese sind in der Regel mit Spreu ausgelegt. Die Körbe dienen dazu, die zu erwartenden Spenden in Form von Eiern, Mehl, Schmalz und Speck aufzunehmen. Während sich der Umzug in Bewegung setzt, wird das Sommertagslied angestimmt |
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Tra, ri, ro Der Sommer, der is do! Wir wollen naus in Garten Und wollen des Sommers warten jo,jo,jo Der Sommer, der is do! |
Tra, ri, ro Der Sommer, der is do! Wir wollen hinter Hecken Und wollen den Sommer wecken jo,jo,jo Der Sommer, der is do! |
Tra, ri, ro Der Sommer, der is do! Der Sommer, der Sommer Der Winter hat's verloren jo,jo,jo Der Sommer, der is do! |
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Kommt der Umzug an einem Haushalt oder Gehöft an, wird zunächst ein „Heischespruch“ aufgesagt. Dieser „Heischespruch“ kann von Ortschaft zu Ortschaft unterschiedlich formuliert sein. Im Grunde genommen hat er aber immer die guten Wünsche und die Forderung nach einer Spende als Inhalt. An dieser Stelle seien nur die bekanntesten „Heischesprüche“ aufgeführt: |
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„Summer, Summer, Maije Die Hinkel leje Ajer (Eier) Der Gickel frisst die Schoole (Schale) Der Bauer muss bezaohle. Ri, ra, roole, die Bäerin gäiht die Stäg enaus, hebt e Nest voll Ajer aus, wird mer aach aons bringe! Roure Woi, Zucker noi, ei, waos werds sou sieß soi! Gebt mer e Aj orre e Stick Speck, daonn geh ich von eirer Hausdier weg.“ oder Mirre in de Faschte (Fastenzeit) Do lere die Bauern die Kasschte, un waonn die Bauern die Kaschte ler`n, do gitt`s e gurri Eern! Hä! Hä! Ajer raus! De Summer un de Winter is haus!” |
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Vielerorts werden Sommer und Winter ins Haus gebeten, um dort ihre guten Wünsche zu überbringen. In der „Gutt Stubb“ kauert sich der Winter sofort an den warmen Ofen. Der Sommer begibt sich zu einem Fenster und öffnet dieses „sperrangelweit“. Sofort ist der Winter zur Stelle und schließt wieder das Fenster. Dieser „Kampf“ wogt hin und her, bis sich der Winter geschlagen gibt und mit hängendem Kopf die „Gutt Stubb“ verlässt. Die Hausfrau überreicht den „Gute Wünsche Überbringern“ Spenden in Form von Mehl, Eiern, Schmalz und Speck. |
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Waren allen Haushalten und Gehöften die „Guten Wünsche“ überbracht, werden die gespendeten Gaben sofort in eine stärkende Mahlzeit umgesetzt, an der alle Umzugsteilnehmer sich laben dürfen. |
Quelle:
A. V. Armin u. C. Brentanao | das Lied Tra ri ro – aus des Knaben Wundernhorn |
Prof. Dr. theol. Manfred Becker Huberti | Laetare – ein Fastensonntag mit Geschichte(n) |
Manfred Kassimir | Text und Bilder |
Adam Winter | Altes Brauchtum im Odenwald, BergstraĂźe und Ried |
Heinrich Grund | Odenwälder Lebkuchen – Volk und Scholle 1938 |
Friedrich Mößinger | Was uns der Odenwald erzählt Band III Der Sommertag in Südhessen Lose Blatt f. Volkskunde Bd. 34 1935 Volk und Scholle 1937 –Sommertag Sommer- und Winterspiele in Buch – Volk und Scholle 1937 |
Dr. Heinrich Winter | Volk und Scholle 1936 |
Sybill Gräfin Schönfeldt | Feste und Bräuche durchs Jahr |
E. Rothaus | Winteraustreibung in einem Dorf im Odenwald – Volk und Scholle 1940 |
Jugend Boxbrunn u. Watterbach | Der besondere Dank gilt den Jugendlichen, die sich mit viel Geduld und Freude fĂĽr die Fotoaufnahmen zur VerfĂĽgung gestellt haben. |