Tod und Trauer
(von Manfred Kassimir)


So wie die Geburt zum Lebenskreislauf zählt, ist auch der Tod eine natürliche Abfolge des Lebens.
Dass der Tod die natürliche Abfolge des Lebens ist, erkennt auch der Odenwälder an. Er ist auch bereit zum Sterben und äußert dies auch in einem hier überlieferten Spruch:

"Ich bin frouh, woann isch sterb,
awwer pressiern (eilen) dut mer`s jo net."


Wie überall, so auch im Odenwald, hat sich dazu ein vielfältiges Ritual mit seinen verschiedensten Schattierungen entwickelt. Diese haben sich stellenweise bis in die Neuzeit erhalten, ohne dass der ursprüngliche Sinn mancher Bräuche unbedingt ergründbar ist.

So wurden im Volksglauben nach Vorzeichen gesucht, die Ereignisse von besonderer Bedeutung vorhersagen ließen. Diese Bedeutungen sind bis heute im Menschen tief verwurzelt.
Vorzeichen eines nahenden Todes:
- Der Ruf des Steinkauzes, auch Todesvogel genannt, mit "Kiwitt"
- Der Ruf Eule
- Die Rübe, Bohnen oder der Klee treibt weiße Blätter
- Blüht der Obstbaum zweimal im gleichen Jahr, ist der Tod nicht weit.
- Der Molwert (Maulwurf) stößt unter der Dachtraufe
- Ziehen die Pferde beim Leichenzug unterschiedlich an oder müssen sie ein weiteres mal
anziehen, liegt der nächste Trauerfall im Dorf sehr nah
- Bleibt plötzlich im Haushalt die Uhr stehen, deutet dies auf den Tod eines nahen Angehörigen
hin
Auch der Odenwälder wusste, dass seine Zeit einmal gekommen ist, Abschied zu nehmen. So legte der Odenwälder zu Lebzeiten Erspartes zurück, dass er am Ende seines Daseins eine "Schöne Leich" hatte, d. h., dass ihm ein besonders schönes Begräbnisfest ausgerichtet werden konnte.
Wichtig im Leben des Odenwälders war es auch, dass "die Sach" (das Erbe) übergeben war, bevor
er das Zeitliche segnete.
War ein Hof zu vererben, wurde "die Sach" übergeben, wenn der Nachfolger geheiratet hatte und die junge Frau auf dem Hof einzog. Der Altbauer zog sich dann in den "Bau" zurück. Vertraglich standen ihm bestimmte Anteile des erwirtschafteten Gutes zu.
War dann die Zeit des Abschiedes gekommen und ein Angehöriger hatte das Lebensziel, den Tod, erreicht, waren bestimmte Rituale erforderlich,
um dem Toten die "letzte Ehre" zu erweisen und
ihm den Gang ins Jenseits so angenehm wie mög-lich zu gestalten.
Bräuche - Rituale

- Die "Leich" musste "ausgesagt" werden. Außer dem offiziellen Gang zu Kirche und Be-
hörden waren die nahen und entfernten Verwandten von dem Ableben in Kenntnis zu setzen.
Die Aufgabe des "Leichenbitters" wurde zumeist von einer männlichen Person des Haus-
haltes oder zumindest von einem der nächsten Angehörigen übernommen. Die Aufforderung
an der kommenden Beerdigung teil zu nehmen, wurde als "zur Leich heißen" bezeichnet.

- War ein Familienmitglied gestorben, wurden sämtliche Uhren im Haushalt angehalten und
erst wieder zum Laufen gebracht, wenn die Beisetzung vorüber war.

- Die Fenster wurden geöffnet, um der Seele des Toten das Aufsteigen zu erleichtern.

- Die Spiegel im Sterbezimmer wurden verhängt.

- Die Lagerstatt, zumeist aus Stroh, wurde unmittelbar nach dem Ableben der betreffenden
Person verbrannt.

- Die Vorratsfässer im Keller wurden geklopft, die Sämereien geschüttelt und die Bienen-
körbe gelüftet.

- Die Leiche musste ordentlich und sauber gekleidet den letzten Gang auf dieser Welt
antreten. Nach einer gründlichen Waschung wurde die Leiche mit den besten Sonn-
tagskleidern, den Hochzeitskleidern oder einem extra dafür gefertigten Totenhemd, auch
Totenmantel genannt, in einem Sarg aufgebahrt. Zum Totenmantel gehörten weiße
Kniestrümpfe und ein Halstuch. Die Frau hatte meist zu Lebzeiten ihr Totenhemd noch
selbst gesponnen und gewebt. Das fertige Kleidungsstück wurde bis zu ihrem Tode
zusammen mit der Hochzeitshaube aufbewahrt.

- Die Aufbahrung erfolgte im Sterbezimmer des Totenhauses.

Totenwache

Am Sarg des Verstorbenen wird eine Totenwache eingerichtet. Die Totenwache bestand aus männlichen Nachbarn und nahen Angehörigen. Um den Wächtern die Wartezeit zu verkürzen, wurde ihnen Wein und Speisen gereicht. Es ist überliefert, dass es aufgrund des Alkoholgenusses bei der Totenwache oft recht zünftig zuging.
Im Aufbahrungszimmer selbst wurde ein kleines Licht entzündet, das zum Toten hin abgeschirmt wurde. Zum einen sollte der Tote von dem Licht nicht gestört werden, zum anderen sollten durch das Licht die bösen Geister vertrieben werden. Das Todenlicht wurde nie gelöscht. Es wurde abgewartet, bis es von selbst erlosch.
Aufbahrung

Der Tote wurde in einem Sarg aus schwarzem oder dunkel-braunem Holz aufgebahrt. Kinder erhielten einen weißen Sarg. Die vorbestimmten Kleider wurden dem Toten angelegt. In verschiedenen Gebieten war es sogar üblich, Grabbeigaben mit in den Sarg zu legen, meist Dinge die der Verstorbene in seinem Leben lieb gewonnen hatte.
Die Tragegriffe des Sarges wurden mit weißen Tüchern ge-schmückt. Diese durften die Sargträger nach vollendeter Arbeit behalten.

Der Sarg blieb bis zur Einsegnung offen im Aufbahrungszimmer stehen, so dass jeder die Möglichkeit hatte, von dem Toten Abschied zu nehmen.
Hatte der Pfarrer seinen Segen erteilt, wurde der Sarg verschlossen und durch die Sargträger aus dem Haus gebracht. Hier war darauf zu achten, dass der/die Tote mit den Füßen zuerst aus dem Haus getragen wurde, sonst konnte er/sie die ewige Ruhe nicht finden.
Ein Spruch eines Witwers aus dem Odenwald ist überliefert, der ausrief:

"Schnell herum mit `erer!"

Trauerkleidung

Geht man in der Brauchtumsforschung weit zurück, stellt man schnell fest, dass die Farbe der Trauer "weiß" den Vorrang hatte. Erst mit der weiteren Entwicklung setzte sich die Farbe "schwarz" als Farbe der Trauer durch.
Die Frauen trugen zum Zeichen der Trauer schwarze Häubchen. Das Schultertuch, in der Umgangssprache auch als das "Freud- und Leidtuch" bezeichnet, wurde mit der dunklen Seite sichtbar nach oben getragen.
Der Begriff "Freud- und Leidtuch" muss an dieser Stelle vielleicht näher erklärt werden:

Zur Kleidung der Odenwälderin gehörte zu allen Festlichkeiten, sei es ein freudiges oder trauriges Ereignis, ein Schultertuch. Dieses Schultertuch wurde diagonal geteilt. Ein Teil des Tuches wurde bunt bestickt und bei freudigen Ereignissen nach oben sichtbar getragen. Im Trauerfall wurde das spärlich bestickte oder ganz in schwarze belassene Teil nach außen gekehrt, so dass die Trauer nach außen hin sichtbar wurde.

Die männlichen Teilnehmer an der Trauerfeierlichkeit waren in schwarz, zumindest aber dunkel gekleidet. Der Dreispitz wurde mit einer schwarzen herunterhängenden Schleife versehen oder der Träger hatte einen Trauerflor an seinem rechten Oberarm befestigt. Später, beim Aufkommen des Zylinders, wurde dieser im Trauerfall gegen den Strich gebürstet, so dass der eigentlich glänzende Zylinder einer mattschwarzen Farbe Platz machte.

Der letzte Gang

Bei einer Beerdigung nahm üblicherweise zumindest ein Haushaltsmitglied des Dorfes an dem Beerdigungszeremoniell teil, denn jeder wusste, dass ihm selbst einmal die Ehre eines schönen Trauerzuges beim eigenen Ableben zuteil werden würde.
Der Ausspruch:
"Der/die hoat awwer e grouße Leich"
,
bedeutete auch, dass die betreffende Person bis über den Tod hinaus geschätzt wurde.
Die Totenträger wurden mit Rosmarienzweigen geschmückt. Einer Überlieferung zufolge(Kirch Beerfurth) soll sogar Buch über die erbrachte Totenwache und Trägerdienste geführt worden sein.
Vom Sterbehaus ging der letzte Gang zum Kirchhof oder Friedhof. Der Kirchhof liegt, wie der Name bereits ausdrückt, direkt an der Kirche und die Kirche bildete den Mittelpunkt des Dorfes.
Friedhöfe hingegen wurden meist außerhalb des Dorfes angelegt, um die ortsnahen Brunnen nicht zu gefährden.
Konnte der Weg vom Sterbehaus zum Kirchhof in der Regel zu Fuß zurückgelegt werden, war der Weg zum Friedhof meist beschwerlich. So wurden auf dem Weg zum Friedhof Ruheplätze angelegt, deren Namensbezeichnungen noch heute in manchen Flurkarten zu finden sind (Delle, Totenplatz).
Setzte sich der Trauerzug in Bewegung, wurde die Kirchenglocke geläutet. Hierzu wurden die Ausdrücke ?Ausläuten?, "Schaabläuten" oder "Schiedungsläuten" gebraucht.
Am Glockenschlag konnte die Stellung de Verstorbenen erkannt werden:
Große Glocke - verheiratet
Mittlere Glocke - ledig
Kleine Glocke - Kind
Keine Glocke - ungetauft.

Eine große Erleichterung war es, wenn der Sarg auf einem so genannten "Rungewagen" zum Friedhof gezogen werden konnte. Ein Rungewagen war ein abgerüsteter Bauernwagen, auf dem lediglich noch mittig ein waagrechtes Brett befestigt lag. Auf diesem Brett wurde der Sarg abgestellt. Der Wagen war mit schwarzem Tuch verkleidet.
Nach der Beendigung der kirchlichen Zeremonie wurde der Sarg in das Grab hinab gelassen. Die Trauergäste hatten nun die Möglichkeit, mit einer kleinen Schaufel oder der Hand, Erde oder Sand auf den Sarg zu werfen, was soviel wie das symbolische Zuschaufeln des Grabes bedeutete.
Totenkrone

Beim Tod eines unverheirateten Burschen oder Mädchens hatte sich der Brauch erhalten, den Sarg bzw. das Grab mit einer so genannten "Totenkrone" zu schmücken. Die Totenkrone sollte symbolisch die Vermählung darstellen, die ihnen im irdischen Leben versagt geblieben war.
Die Totenkrone wurde vom Paten oder Patin des/der Verstorbenen gestiftet.
Sie bestand aus einem Gerüst aus Weiden- oder Drahtgestell, dessen Ende nach oben spitz zu lief. Mit bunten Papierblumen, Glasperlen und Flittergold wurde das Flechtgestell ausgeschmückt.
Beim Leichenzug wurde die Krone auf dem Sarg befestigt. Später schmückte die Totenkrone den Grabhügel des/der Verstorbenen.
Die Herstellung der Totenkrone war mit sehr hohem finanziellem Aufwand verbunden. Aus diesem Grund ging man später dazu über, eine solche Krone über die Kirche oder die Gemeinde leihweise zu erwerben oder kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Friedhof

Die Friedhöfe des Odenwaldes waren meist sehr schlicht und einfach gehalten. Ausufernde Grabmäler waren selten zu finden. Einfache Holz- oder Eisenkreuze oder kleine Grabsteine beherrschten den Rundblick. Anhand der gefertigten Male war festzustellen, welcher Konfession der Verstorbene angehörte:

Das Kreuz mit Dach - Lutheraner
Das Kreuz ohne Dach - Katholik
Totenbretter - Reformierte.

Den Brauch, seine Toten durch Totenbretter "Grabstickel" (Grabstöcke) genannt, zu gedenken, fasste nach dem 30-jährigen Krieg im Odenwald Fuß. Die Odenwälder Bevölkerung war durch den Krieg und die heimsuchenden Seuchen bis zu 70 % ausgerottet. Das zu bewirtschaftete Gebiet lag brach. Reformierte Anhänger, meist aus der Schweiz und Frankreich (Hugenotten), wurden angeworben, um den Odenwald neu zu besiedeln.
Die Neuankömmlinge setzten hier Toten mittels Totenbretter bei, d. h. schlanke Bretter, deren Spitzen in kunstvoller Form ausgeschnitten waren, wurden mit dem Namenzug des Verstorbenen versehen und senkrecht auf dem Grabhügel aufgebracht. Über dem Namen des Verstorbenen wurde eine Blume aufgemalt, die aus einem Blumentopf herausrankte.
Dieser Brauch ist u. a. auch noch heute auf dem "Bretterfriedhof" in Schlierbach (Kreis Bergstraße) anzusehen.

Flannerts

Den Abschluss der Begräbnisfeierlichkeiten bildete der Leichenschmaus, oder wie er im Odenwald genannt wurde, der "Flannerts". Das Wort "Flannerts" kommt vom Wort "flennen", was wiederum "weinen" bedeutet.
Wenn es dem Verstorbenen zu Lebzeiten möglich war, hatte er für seine Totenfeier Geld angespart, so dass es möglich war, die zu seinen Ehren anwesenden Gäste üppig zu bewirten. Es sollte den Gästen an nichts mangeln. Zum Flannerts wurde in das Totenhaus eingeladen. Seltener wurde der Flannerts in einer Gaststätte gefeiert.


Zum Beginn des "Flannerts" wurde Kaffee und Kuchen, "Petzekuchen" genannt, gereicht. Der Petzekuchen bestand aus einem einfachen Hefeteig ohne weiteren Belag. Die Oberfläche des Kuchens wurde mittels Daumen und Zeigefingern gepetzt, d. h. verziert, so dass sich auf dem Kuchen Ornamente wie z. B. Blumen, Bäume, Rauten, Schnecken usw. wieder fanden.
Heute ist der "Petzekuchen" durch Streusel- und Zimtkuchen abgelöst.
Ging es bei Kaffee und Kuchen dem Anlass entsprechend zurückhaltend und ruhig zu, soll es zu fortgeschrittener Stunde, nach reichlichem Genuss von Wein, Bier und Schnaps auch schon mal zu recht deftigen Auswüchsen gekommen sein. Überlieferungen zufolge soll sogar getanzt und gesungen worden sein. Daher rührt auch der Ausspruch:

"Die Haut des Verstorbenen wird versoffen."


Dass der Odenwälder sich grundsätzlich mit dem Sterben auseinander setzte, mag folgender Spruch belegen, der einmal bei einem Flannerts ausgesprochen worden sein soll:

"Was batt (nützt) mer die
schenscht Leicht (Leichenfeier)
woann isch dobei de
Doure speele muss."

Die Totentrauer für nahe Angehörige erstreckte sich übrigens über ein ganzes Jahr. Tanzen und Teilnahme an Festlichkeiten (z. B. Kerb) waren untersagt.


Quellen:
Philipp Buxbaum
Anke Fischer
Rochus Gehron
Werner Geiger
Ernst Hyronimus
W. List
Friedrich Mössinger

Heinrich Sennert
Hans von der Au
Georg Volk
Manfred Kassimir


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