OdenwÀlder Spinnstube
(Manfred Kassimir)

Mittelpunkt der dörflichen Winterabende im Odenwald waren zu frĂŒheren Zeiten sicherlich die Spinnstuben. An erster Stelle sei genannt, dass diese Treffen zum Arbeiten als auch zum Austausch von Neuigkeiten dienten.
Die Spinnstuben können mit Fug und Recht in Anspruch nehmen, die lĂ€ndliche Kultur und das Brauchtum gepflegt und weiter gegeben zu haben, d. h. der geistige Mittelpunkt des dörflichen Lebens gewesen zu sein. So wurden Lieder, TĂ€nze, aber auch MĂ€rchen und Gedichte immer wieder vorgetragen und dadurch die Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben. Althergebrachtes wurde so vor dem Aussterben bewahrt.

Über den Wert dieser Spinnstuben wurde bereits viel geschrieben. Je nach Einstellung des Verfassers fiel der Artikel zu Gunsten oder zu Ungunsten der Spinnstuben aus.
AuswĂŒchse gab es sicherlich hie und da, wie immer, wenn junge Menschen mit neuen Ideen und Absichten aufeinander treffen und dabei versuchen ihre Grenzen auszuloten.
Dies sollte aber nicht zum Anlass genommen werden, den ursprĂŒnglichen Sinn der Spinnstube von Grund her zu verteufeln. Aber gerade diese einzelnen bekannt geworden FĂ€lle und AuswĂŒchse ließen die geistlichen und weltlichen Behörden bereits im 16. Jahrhundert den vergeblichen Versuch unternehmen, den Spinnstuben den NĂ€hrboden und damit die Existenzberechtigung zu entziehen.
Welchen Raum das Spinnen im Volksmund einnahm sieht man noch in dem sprachlichen Niederschlag, der auch heute noch nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch wegzudenken ist:

v Reißt ein Gedankengang ab, "dann verliert man den Faden"

v Anderseits "spinnt einer einen Gedanken zu Ende"

v Wenn jemand Unsinn redet, "dann spinnt er ganz schön"

v Wird eine unglaubliche Geschichte erzĂ€hlt heißt das "Seemannsgarn spinnen"

v "Man hat ihn eingesponnen" bedeutet, dass einer im GefĂ€ngnis sitzt und dort das Spinnrad betĂ€tigen muss spĂ€ter kam dann das besser bekannte "TĂŒtenkleben".

Im ĂŒbrigen war das Spinnrad das Sinnbild des hĂ€uslichen Fleißes und durfte auf dem Aussteuerwagen der Braut nicht fehlen.

Die Veranstaltungen von Spinnstubenabenden sah man in der Regel als ein vergnĂŒgliches Zu-sammensein an, in welcher aber die Arbeit nicht zu kurz kam, denn die OdenwĂ€lder Landbevölkerung war vor der Industrialisierung auch im Hinblick der Produktion von Garnen und Stoffen auf die Selbstversorgung angewiesen. Denn die gesponnenen FĂ€den fanden bei einer Vielzahl von KleidungsstĂŒcken Verwendung. Der Einzug des Industriezeitalters brachte es spĂ€ter mit sich, dass kein Garn mehr gesponnen werden musste. Ersatzarbeiten wie z. B. NĂ€hen, Stricken und Sticken fĂŒllten diese LĂŒcken aus.

Das Brauchtum der "OdenwĂ€lder Spinnstuben" soll einen Überblick ĂŒber die Sitten und GebrĂ€uche geben, wie sie in unserer nĂ€heren Heimat, nĂ€mlich im Odenwald, ĂŒblich waren. Sicher gibt es auch hier Abweichungen von den geschilderten Spinnstuben-BrĂ€uchen. Aber alle BrĂ€uche in jeder Einzelheit aufzufĂŒhren ginge zu weit und wĂŒrde den vorgesehenen Rahmen sprengen.
So musste die OdenwĂ€lder Jugend bereits in frĂŒhen Jahren krĂ€ftig bei der Arbeit mit anpacken, wenn es um die ErnĂ€hrung der Familie ging. War die Schulzeit erst einmal zu Ende, wurde die zeitweilige Hilfe bei der Arbeit zur wirklichen Pflicht.
Die Arbeit im dörflichen Leben war durch den Jahresverlauf vorgegeben. Aussaat, Pflege und Ernte lösten sich in immer wiederkehrenden Rhythmen ab. War die eigentliche Arbeit getan, schafften sich die jungen Menschen ihr eigenes VergnĂŒgen die Spinnstube.

Die Spinnstubenzeit begann in der Regel im Monat November und zog sich bis zur Fastnachtszeit hin. Unterschiedliche Überlieferungen besagen, dass zwischen den Jahren, d. h. zwischen Weihnachten und Neujahr, eine Spinnstubenpause eingelegt wurde bei anderen wird vorgegeben, dass es gerade in dieser Zeit zu durchtanzten und durchsungenen NĂ€chten gekommen ist.
In den grĂ¶ĂŸeren Dörfern wusste man bereits Ende Herbst, in welcher Zusammensetzung sich die Spinnstube zusammen findet. War eine Altersgruppe zu groß, unterteilten sich die Spinnstuben in mehrere kleine Gruppen. Oft blieben die zusammengehörigen JahrgĂ€nge unter sich.
Die Spinnstuben fanden nicht immer am gleichen Ort statt. Vielmehr mussten die beteiligten Familien reihum RĂ€umlichkeiten zur VerfĂŒgung stellen, wenn es um die Ausrichtung des vergnĂŒglichen Beisammenseins ging.
So trafen sich die MĂ€dchen meist Dienstags und Donnerstags nach dem Abendessen mit dem Spinnrad unter dem Arm bei der vorher festgelegten Familie.
Flugs drehten sich die RĂ€der. Flachs, Hanf oder Schafwolle wurde versponnen und die Spulen fĂŒllten sich schnell mit den dĂŒnnen FĂ€den. Außer dem typischen Rauschen der SpinnrĂ€der hörte man nur noch das muntere Geplapper und den Gesang junger MĂ€dchenstimmen.
Meist erklangen von alters her ĂŒberlieferte Liedtexte die gesungen wurden. Fehlte es einmal am Text, griff sicherlich die auf der Ofenbank sitzende Großmutter ein, die ansonsten das Treiben der MĂ€dchen wortlos ĂŒberwachte.

Aber es dauerte sicherlich nicht allzu lange, bis die Arbeit der MĂ€dchen am Spinnrad unterbrochen wurde. Die MĂ€dchen warteten bereits insgeheim auf die jungen Burschen, die sich auf den Weg zu ihnen gemacht hatten.
Teilweise erwarteten die MĂ€dchen die jungen Burschen bereits auf der Straße. In anderen Orten stahlen sich die Burschen nach und nach in die "Gutt Stubb" um sich dort dem fröhlichen Reigen der MĂ€dchen anzuschließen.
Schabernack der Burschen gewann immer mehr die Oberhand, einzig und allein mit dem Ziel, den MÀdchen nÀher zu kommen und ihnen vielleicht den einen oder anderen Kuss zu rauben:

v So wurden von den Burschen die Spulen versteckt

v Der Rocken (Holzstab auf dem der zu verarbeitende Hanf/Flachs oder Wolle aufgesteckt ist) war plötzlich verschwunden.

v Der gesponnene Faden riss wie von Geisterhand

Das gemeinsame Treiben machte hungrig. Von den Gastgebern kam Essen und Trinken auf den Tisch. Dann war es mit dem Schabernack erst einmal vorbei.
Nach erfolgter StĂ€rkung setzte sich das Treiben fort. Es wurden wieder alte Lieder gesungen. Der Ursprung vieler Lieder ist vielleicht schon in Vergessenheit geraten. Nur die Melodie und der Text blieben ĂŒberliefert.

Selbstgedichtete Vierzeiler, sogenannte Traller, wurden gesungen. Der Inhalt des Trallers entstand meist aus der gerade vorgefundenen Situation oder aus einem Ereignis, das sich vor nicht allzu langer Zeit im Dorf zugetragen hatte. Meist traf es die eine oder andere anwesende Person und entbehrte nicht einer gewissen Komik.

Spinnstubenmusikanten

Wenn genĂŒgend Platz in der "Gutt Stubb" vorhanden war, wurde auch spontan das Tanzbein geschwungen. Tisch und BĂ€nke wurden an die Wand gerĂŒckt um mehr freien Platz zu schaffen. TĂ€nze, wie z. B. der OdenwĂ€lder Dreischrittdreher, der Schnicker oder die Kreuzpolka kamen als beliebte TĂ€nze in der Spinnstube immer wieder zum Einsatz.
Ein junger Bursche oder MĂ€dchen spielte meist mit einer Mundharmonika oder einem Akkordeon zum Tanz auf. Bevor diese Musikinstrumente sich durchsetzten, waren es meist Saiteninstrumente, z. B. die Geige, die den Ton der Musik angaben.

Zwischen den Liedern und TĂ€nzen holten auch die Sagen- und MĂ€rchenerzĂ€hler ihre Geschichten aus der Erinnerung frĂŒherer Spinnstubenabenden hervor. Althergebrachte fröhliche, aber auch grausliche Geschichten gehörten dazu und haben sich dadurch bis in die heutige Zeit erhalten.

Ging der Abend der Spinnstube langsam zu Ende, machten sich die Burschen und MĂ€dchen gemeinsam auf den Heimweg. Unterwegs wurden noch einmal die zuvor gehörten Schauergeschichten in Erinnerung gerufen. Und so war es kein Wunder, dass sich die MĂ€dchen auf ihrem Nachhauseweg "fĂŒrchteten". Aber man hatte ja seinen BeschĂŒtzer zur Seite, an den man sich klammern konnte, um die Angst zu ĂŒberwinden.

In dieser Hinsicht war die Spinnstube auch einer der wenigen Orte, an dem ungezwungen Kontakt zum anderen Geschlecht geknĂŒpft werden konnte. Aus diesem besagten Grund wurde auch sehr darauf geachtet, dass die Spinnstuben innerhalb von Familien stattfanden, die in etwa die gleiche soziale Stellung im Dorf einnahmen. Denn fĂŒr ein OdenwĂ€lder gab es nichts schlimmeres, als dass der Sohn oder die Tochter unter Stand heiratete. Hier gab es einen Spruch, der die Einstellung der damaligen Zeit deutlich ausdrĂŒckt:

"Mer muss druff achte, dass die Sach zusomme gehoalde werd!"

Die Ausrichtung der Spinnstube ist ein fast vergessener Brauch. Um so ĂŒberraschter war der Verfasser, als er in jĂŒngster Zeit einen Zeitungsbericht zu Gesicht bekam, der sich mit dem Aufruf an der Beteiligung einer Spinnstube befasste. Es wĂ€re schön, wenn sich dieses Angebot durchsetzen könnte, wenn auch nur um soziale Kontakte neu aufzubauen oder zu pflegen oder althergebrachte Arbeitstechniken zu erhalten.




Quellen:
Friedrich MĂ¶ĂŸinger - Was uns der Odenwald erzĂ€hlt, Band III
Greta Bickelhaupt - Werke Band 2, Dramen
Uwe Henkhaus - Das Treibhaus der Unsittlichkeit
Heinrich Krapp - OdenwÀlder Spinnstube, Volkslieder
Wilhelm Glenz - Volk und Scholle 1934-1936, Spinnstuben
Heinrich Sehnert - Sou woarsch ba uns dehoam
Manfred Kassimir - Text und Bilder

 


zurĂŒck Seitenanfang