Ein Odenwälder Hochzeitsbrauch
(Manfred Kassimir)

Odenwälder Brautpaar

Die Überschrift "Ein Hochzeitsbrauch im Odenwald" ist ganz bewusst gewählt. Mit der Weitläufigkeit des Odenwaldes und seinen verschiedenen Einflussgebieten aus den Randbereichen gibt es so viele unterschiedliche Einflüsse dieses Brauches, wie es im Odenwald Dialekte gibt. Diese in allen Einzelheiten aufzuführen, würde den vorgesehenen Rahmen sprengen.
In dieser Schilderung "Ein Odenwälder Hochzeitsbrauch" wird eine Überlieferung erzählt, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts noch üblich war. Der eine oder andere Brauch hat sich bis in die heutige Zeit erhalten. Andere Bräuche erkennt man, vielleicht in abgewandelter, der Neuzeit angepassten Form, wieder. Noch Andere sind gänzlich verschwunden.

In früheren Zeiten wurden die Ehen durch die Kirche geschlossen und besiegelt. Das Eheversprechen wurde in den Kirchenbüchern nieder geschrieben. Das Brautpaar unterschrieb (wenn möglich) dieses Eheversprechen und der Pfarrer benannte sich und in der Regel die Väter des Paares als Zeugen. Dies änderte sich mit dem 6. Februar 1875. Mit diesem Datum wurde ein Reichsgesetz erlassen, das bestimmte, dass Eheschließungen nur noch durch Bezeugung von weltlichen Behörden ihre Gültigkeit hatten. Jede Gemeinde musste einen Standesbeamten ernennen, der die Gültigkeit der standesamtlichen Trauung beurkundete. In der Regel war dies der Schultheiß des Dorfes oder ein dazu ernannter Beamter, der Standesbeamte.

Nicht immer war es so, wie in der heutigen Zeit, dass sich ein Pärchen auf dem Wiesenmarkt, der Diskothek oder sonstigen Jugendtreffs zusammen fand und dabei erkannte, dass es füreinander bestimmt war.
In vergangener Zeit, ich spreche hier um die Mitte des 19. Jahrhunderts, wurden ganz andere Maßstäbe angelegt um in den Stand der Ehe treten zu können.
Im Vordergrund stand nicht immer die Liebe der beiden betreffenden Personen, sondern eher der soziale Stand des jungen Burschen und des jungen Mädchens.
So kam es oft vor, dass die jungen Leute bereits in der Wiege einander versprochen wurden. Dieser Brauch wurde sogar im Erbacher Landrechte von 1552? empfohlen.

Eine weitere Gelegenheit, sich näher kennen zu lernen, war auch die Spinnstube. Das war ein Treffpunkt der jungen Leute, an dem man sich ungezwungen kennen lernen konnte. Gemeinsame Spinnstubenabende wurden immer reihum in den Bauernhöfen gehalten. Es waren fröhliche Abende in der Winterszeit, in denen getanzt, gesungen und gelacht wurde.

Musiker in der Spinnstube

Eine andere Art des Kennenlernens kam über die so genannten "Schmuser" zustande. Die "Schmuser" waren in der Regel Schneider, Viehhändler oder Schuster, die berufsbedingt in der näheren und weiteren Umgebung mit Familien in Kontakt kamen und somit wussten, wo heiratsfähige Mädchen oder Burschen zu Hause waren. Durch ihre Vermittlung zwischen den Familien kam so manche Eheschließung zustande.
Auch Verbindungen, die junge Burschen und Mädchen selbst zustande brachten, gab es, vorausgesetzt, der Stand der beiden passte zusammen.
Im Vordergrund der Entscheidung, ob die jungen Leute heiraten durften, stand aber immer die Stellung der Person. Dies kann man am treffendsten mit folgendem Spruch beschreiben:

"Gut gefrühstückt, hält den ganzen Tag,
gut geschlachtet, das ganze Jahr,
und gut geheiratet, das ganze Leben."

Hatte sich die Entscheidung gefestigt, dass die beiden jungen Leute zueinander passten, war der erste Schritt getan; es folgten aber noch viele weitere beschwerliche Schritte auf dem Weg bis zur eigentlichen Eheschließung.
Erst einmal mussten die Eltern ihre Einwilligung zu dieser Verbindung geben.
Dazu gehörte es, dass die beiden Väter wegen der Mitgift in Verhandlung traten.

Oft waren diese Verhandlungen nicht leicht, zumal dann, wenn es sich um ein beträchtliches Vermögen handelte, das in die Ehe mit eingebracht wurde. Hier konnten sich richtig typische Odenwälder, "Knorrnkepp" genannt, kennen lernen. Nicht nur, dass es um Haus oder Hof ging, welches bei der Eheschließung an die jungen Leute zu übergeben war, sondern alles wurde bis ins Kleinste geregelt. So wurde unter anderem ganz genau der Hausrat, die

 oan Knorrnkopp

de oanner Knorrnkopp

Wäsche, das Vieh und die Arbeitsutensilien aufgelistet, die jeder in die neu zu gründende Ehe einbringen würde. Während dieser Verhandlungen ging es meist recht derb zu. Ausdrücke, wie z. B. Sparbrötchen, Knickser, Pennischfuchser, Schöbber und andere deftige Ausdrücke waren keine Seltenheit.
Aber es wurde um die "Sach" gefeilscht, d. h. um die Mitgift, und wenn man um die "Sach feilschte", gab es keine Gnade.
In diesem Zusammenhang hat die Odenwälder Mundartdichterin, Frau Greta Bickelhaupt nachfolgende Verse gereimt, die das Wesen des Odenwälders treffend widerspiegeln:

"Verrot mer, was doo vor sich gäiht,
dass sich des Pärche noch net gfunne!
Hot sich am Enn die Äivegräit
zu guder letscht noch annerscht bsunne?"

"Bewahr, der Valdin kriegt se doch,
nor noch nit Hochzet mache kann er
die Vädder sinn halt ewe noch
um fuffzig Pennich ausenonner."

War die Mitgift ausgehandelt, wurde das mit einem kräftigen Handschlag besiegelt.
Nun stand den Hochzeitsvorbereitungen nichts mehr im Wege.
Die Hochzeitstracht musste geschneidert werden.

Die Hochzeitskrone, ein Kranz bestickt mit bunten Glasperlen, musste gerichtet werden. Dieser Hochzeitskranz wurde in der Familie von Generation an Generation weiter gegeben. Es wurde geschlachtet, gebacken und gekocht.
Ein Hochzeitslader wurde bestimmt, meist einer der Paten des Brautpaares oder Freunde oder gute Bekannte. Dieser wurde auf den Weg geschickt um die Hochzeitsgäste persönlich zu dem großen Fest einzuladen. Oftmals wurde die Einladung in Versform vorgetragen. Das kam aber immer auf das Talent des jeweiligen Hochzeitladers an. Die Einladung erfolgte in der Regel am Sonntag vor dem Hochzeitstag.
Ob man diesen Hochzeitslader um seine Aufgabe beneiden oder bedauern soll, ist, je nach der Betrachtungsweise, jedem selbst überlassen.

Da der Hochzeitslader zu einem freudigen Ereignis einlud, war er immer ein willkommener Gast. Zur Feier des Tages lud man ihn zu einem Glas Schnaps, Wein, Bier oder Apfelwein ein. Bis dieser dann seine Einladungsrunde hinter sich hatte, hatte er sich schon die nötige "Bettschwere" eingehandelt. Böse Zungen erzählen sogar, dass ein Hochzeitslader seine Runde gar nicht zu Ende brachte und irgendwo erschöpft im Heu nieder sank. Erst am nächsten Tag konnte er sein Werk vollenden.

Der Hochzeitslader

Dann kam endlich der große Tag des Paares, der Hochzeitstag. In der Regel fiel dieser Tag auf einen Donnerstag. Donnerstag deshalb, weil dieser Tag die meisten Buchstaben beinhaltete und dieser Tag dem Gott "Donar" geweiht war. Ein Eheschluss an einem Donnerstag sollte ein langes und glückliches Eheleben garantieren. Also, man sieht, zu allem Brauchtum gehört auch eine Portion Aberglauben dazu.

Wie auch noch heute, so war dieser Tag von großer Hektik und Aufregung geprägt.
Die Kirche musste geschmückt werden. Das Essen vorbereitet und die Räumlichkeiten für die Hochzeitsfeier mussten hergerichtet werden.
Dazu kamen die unerwartenden Dinge, die einem das Leben bis zur eigentlichen Feier schwer machen. Aber auch diese Zeit ging vorüber.

Der Hochzeitszug nahm seine Aufstellung. Alles wartete auf das Ertönen der Kirchen-glocken, denn zum Hochzeitstag, aber auch zur Leichenfeierlichkeit, werden dem Odenwälder alle Glocken geläutet.

An der Spitze des Zuges befand sich selbstverständlich das Brautpaar.
Ihnen standen in der Regel die Paten zur Seite, die gleichzeitig als Trauzeugen fungierten. Die so genannten "Schmollmädchen" und "Zuchtknechte" folgten dem Paar. Die Ausdrücke "Schmollmädchen" und "Zuchtknechte" müssen hier kurz erläutert werden:

"Schmollen" kommt aus dem Mittelhochdeutschen "smielen" und bedeutet "lächeln" in Form von "aufheitern". "Zuchtknecht" bedeutet nichts anderes wie "Zucht und Ordnung" aufrecht erhalten, in diesem Fall nach dem Rechten sehen und alles in die richtige Bahnen lenken.

Die Eltern des Paares bildeten die nächste Gruppe. Der Hochzeitszug wurde durch die geladenen Gäste ergänzt. Den Schluss des Zuges bildeten die jungen Mädchen und Burschen. In dieser Ordnung ging's durchs Dorf zur Kirche. Dem Zug eilte ein junger Mann mit Hochzeitsstecken voran. Der Hochzeitsstecken war ein Holzstab, an dessen oberen Ende ein geflochtener Kranz, geschmückt mit langen, bunten Bändern, befestigt war. Dort wurden Braut und Bräutigam durch den Pfarrer in Empfang genommen.

Da standen sie nun:
Sie, in ihrer Festtagstracht, mit weißer seidener Schürze und weißem Schultertuch. Die Schuhe waren mit silbernen Spangen geschmückt. Die Brautkrone (oder Schäpli) leuchtete in all ihrer Tracht, die schwarzen Samtbänder flatterten leise im Wind. Rosmariezweige, mit bunten Bändern zusammengehalten, schmückten das Mieder.

Hetzbacher Hochzeitskrone

Odenwälder Dreispitz

Er, mit seiner hirschledernen Kniebundhose, der bunten oder dunklen Weste und dem blauen Tuchrock. An den Rockaufschlag war ein kleiner Hochzeitsstrauß aus Blumen und bunten Glasperlen gebunden. Auf dem Kopf trug er den Odenwälder Dreispitz und zwar mit der Spitze nach vorne.
Der Bräutigam ging übrigens an der rechten Seite der Braut in die Kirche. Nach dem Ende der kirchlichen Zeremonie und beim dem Verlassen der Kirche ging der Bräutigam auf der linken Seite der Baut. Der frisch gebackene Ehemann musste nun seinen Drei-spitz so aufsetzen, dass die flache Seite nach vorne zeigte.

Spöttische Kommentare waren die Folge:

"Jetzt hot er sich a die Herner abgstousse"

oder

"Jetzt hot er en Brett vorm Kopp".

Gute Freunde empfingen das Brautpaar am Ausgang der Kirche und übergaben eine Schale mit Brot und Salz.

Brot und Salz

Diese Gaben stellten die guten Wünsche für das Paar dar, dass Brot und Salz in ihrem Haushalt nie ausgehen möge, d. h., dass bei dem jung getrauten Paar nicht die Armut Einzug halten solle.
Die Kinder der Hochzeitsgäste spannten Seile über den Weg des Brautpaares. Andere versuchten der Braut den Brautschuh zu stehlen. Alles diente dazu, dass sich der Bräutigam großzügig zeigte und dies durch Auswerfen von kleinen Münzen und Süßigkeiten kund tat. Er kaufte sich sozusagen seinen Weg ins Eheleben frei.

Der Weg zur Hochzeitsfeier war nun frei. Das Brautpaar und die geladenen Gäste zogen einem Festzug gleich durch das Dorf zum Saal, wo die Feierlichkeiten statt fanden.

Odenwälder Hochzeitsgesellschaft

Kaffee und Kuchen wurde gereicht. Man unterhielt sich und war froh, einem solch größeren Ereignis beiwohnen zu dürfen. So verging die Zeit, bis es zum eigentlichen Hochzeitsessen kam. Trotz aller Armut im Odenwald wurde das Hochzeitsfest recht üppig gefeiert. Ein typisches Odenwälder Hochzeitsessen bestand z. B. aus:
Suppe, Gemüse, Fleisch mit Meerrettich. Zum Schluss folgte der Braten mit Beilage.

Waren alle satt und zufrieden, wurde schließlich zum Tanz aufgespielt. Der Eröffnungs-tanz stand den Frischvermählten zu. Freunde, Bekannte und Verwandte schlossen sich an. Es kam eine ausgelassene Stimmung auf. Schließlich sollte der Hochzeitstag den Brautleuten in schöner Erinnerung bleiben.

Erst um Mitternacht wurden die Geschenke an die Vermählten übergeben. Das bedeutendste Geschenk war das "Gotekissen". Das "Gotekissen" bestand aus einem großen, meist weißem Kissen, das an allen Ecken mit bunten Bändern geschmückt war. Die Bänder wurden in der Mitte des Kissens zu einer großen Schlaufe zusammenge-bunden. das Kissen war prall mit Gänsefedern gefüllt, so dass die Füllung für das ganze Bettzeug reichte.

Das ?Gotekissen?

War die Geschenkübergabe vorüber und Mitternacht vorbei, wurde von den "Schmollmädchen" das Lied angestimmt:

"Braut, zieh nun Dein Kränzlein aus,
sei jetzt Frau in diesem Haus!
Veilchen blau und grün der Klee,
Heute Jungfer und nimmermeh!"

Während diesem Lied wurde die Brautkrone vorsichtig aus dem Haar der Braut gelöst und verpackt. Die Brautkrone kam nun erst wieder zu Ehren, wenn die sich die Nach-kommen des jung vermählten Paares dazu entschlossen zu heiraten.

Tja, so sah er in etwa aus, der Odenwälder Hochzeitsbrauch um 1850 herum. Abwandlungen sind immer möglich. Wenn jemand weitere Überlieferungen bieten kann, bin ich gerne bereit diese mit zu verarbeiten.

Quellen:
Dr. Dr. Hans von der Au - Odenwälder Tracht
Georg Volk - Der Odenwald
Greta Bickelhaupt - Gedichte und Dramen
Ernst Hieronymus - Engel, Hexen, Hochzeitsbräuche
Friedrich Mösinger - Was uns der Odenwald erzählt Band III
Manfred Kassimir - Bilder

 


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