Brudergrund und Not Gottes
(von Manfred Kassimir)Â Â
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Wo man begrub Alt-Erbachs Ahnen
und sacht vorbei der Roßbach rinnt,
da blähten bunte Wallfahrtsfahnen
einst Duft erfüllt Hochsommerwind.
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Verschwunden wie die Totenmale
ist lang der kleine Andachtsort,
doch ganz wie sonst noch fließt zu Tale
das Bächlein silbern immerfort.
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Standarten wehten, Lieder klangen,
ein Kreuz voran, das Tal bergauf;
die Waller sind längst heimgegangen,
geweihte Erde nahm sie auf.
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Die frommen Lieder, sie verflogen,
vom Wind verweht, vom Sturm zerzaust,
die Seelen doch sind nachgezogen,
wo sie kein Wetter mehr umbraust.
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Wo Ehrfurcht Tote einst begraben
und still vorbei der Waldbach rinnt,
verstummte Vogelsang, nur Raben
krächzten im Novemberwind.
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So blieb es, bis die Andachtsstätte
dort als „Not Gottes“ neu entstand,
und hell auf Himmelfahrt statt Mette
ein Lutherlied erklang in`s Land.
Dr. Karl Pusch
Wendet sich der Besucher der Odenwälder Kreisstadt Erbach gen Westen, so kommt er unweigerlich in eine Talschlucht, die durch den Bachlauf „Roßbächlein“ geprägt ist und dessen Lauf nach ca. zwei Kilometer in die Mümling einmündet.
Die besagte Talschlucht wird als Brudergrund bezeichnet und verläuft in Ost-West-Richtung, bis sich die Schlucht Richtung im Westen in ein breites Tal ausweitet und  dort von dem Weiler Roßbach begrenzt wird.
Die Talschlucht „Brudergrund“ kann in zwei Teile ein- geteilt werden, die aber fließend ineinander verschmelzen.
Die Teilung bezieht sich auf einen „weltlichen“ und einen „religiösen Teil“.
Der weltliche Teil umfasst ein Wildgehege mit Wildfütterung und angelegten Wanderwegen. Diesem schließen sich zwei Teiche an, in denen sich Wildenten und Amphibien tummeln. Ein Grillplatz mit Schutzhütte ergänzt den weltlichen Teil und neuerdings ist die Stadt bemüht, den Wildpark noch attraktiver zu machen und legt auf der Freifläche vor dem Futterhaus einen Spiel- platz für die kleinsten Besucher an.
Futterhaus
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Wendet der Besucher seinen Blick Richtung Osten, entdeckt er, versteckt unter mächtigen Laubbäumen, die Grundrisse einer Kapelle und stehlenartige Sandsteine, die sich bei näherer Betrachtung als Gedenksteine für Verstorbene darstellen.
Der Brudergrund als Naherholungsgebiet mit Wildgehege.
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Roßbächlein                 Angelegter Teich  Â
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 Das Wildgehege „Brudergrund“ wurde durch die Erbacher Grafenfamilie im Jahr 1785 angelegt, um deren Versorgung mit Fleisch sicherzustellen. Die dazu- gehörigen Fischteiche folgten im Jahr 1928 um auch hieraus ihren Nutzen zu ziehen. Leider verlandeten in der Folgezeit die Teiche, bis diese durch den Katas- trophenschutz (heute THW) wieder instandgesetzt wurden. Durch diese staatliche Institution wurde auch am westlichen Teil des Wildgeheges eine Pionierbrücke errichtet, die für den Wanderer die Möglichkeit ergibt, die Talschlucht von Nord nach Süd zu überqueren.Â
Hirschbrückebrücke
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Im Jahr 1956 wurde der Wildpark der Öffentlichkeit zu- zugänglich gemacht und hat seit dieser Zeit Jahr für Jahr an Bedeutung eines Naherholungsgebiets gewonnen.
Es entstand ein neuer Eingangsbereich zum Wildpark, eine Futterhütte und zahlreiche Informationstafeln die über in freier Wildbahn zu beobachtenden Tiere und der Pflanzenwelt Auskunft zu geben.
Im Bereich der Futterhütte sind Schautafeln mit den entsprechenden Getreidesorten und deren Verendungs- zweck anschaulich dargestellt. Auch eine Schautafel verschiedener, im Brudergrund anzutreffender Pflanzen und Bäumen bringt dem Betrachter die Natur näher. Eine Umzäunung des Wildgeheges verhindert eine Abwanderung der Wildtiere.
Östlich des Wildparkes finden sich zwei untereinander verbundenen Teiche, die zahlreichen Fischen und Enten ihren Lebensraum geben.
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Wildenten
Der Brudergrund, der immer für die Öffentlichkeit zugänglich war, gelangte 1976 in den Besitz der Stadt Erbach. Seitdem wird die liebevolle Pflege des Parks von der Stadt getragen.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Wildpark bis heute, auch ohne Eintrittsgelder zu entrichten, besucht werden kann.
Nach dem 2. Weltkrieg konnte die 95. US-Pioniereinheit Darmstadt mit der Instandsetzung des Wildgeheges, der beiden Fischteiche und der Pionierbrücke gewonnen werden. Hinzu kamen die Hirschbrücke mit der Möglichkeit von einem Hochsitz aus den Tieren ungestört zu beobachten.
Hochsitz zum Beobachten der Wildtiere
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Heute sind in dem Wildgehege Rotwild, Damwild, Mufflons und neuerdings auch weiße Damhirsche zu bewundern, wobei auch die Möglichkeit besteht, diese Tiere an bestimmten Futterstellen mit artgerechtem Futter zu füttern.Â
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Damwild                MufflonÂ
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Soweit der weltliche Abschnitt des Brudergrundes.
Der religiöse Teil der Talansicht „Brudergrund“ stützt sich auf Legenden und Sagen, die aber bis heute von den Historikern nicht endgültig belegt sind.
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Aber was bedeutet der Name „Brudergrund“ und „Not Gottes“?
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Ruhebänke der Kapelle „Not Gottes“ Holzkreuz aus Oberammergau  Glockenturm
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Laut einer Legende sollen sich in diesem Tal Johannitermönche niedergelassen und eine Kapelle für ihre Andacht errichtet haben. Diese aus Volksmund über- lieferte Legende ist aber bis heute nicht wissenschaftlich bewiesen und bleibt weiterhin in der im Dunkel liegenden Vergangenheit. Einer weiteren Erzählung nach soll von dieser Kapelle aus ein unterirdischen Gang in die historische Altstadt (Tempelhaus) der Grafenstadt Erbach geführt haben. Auch diese aus dem Volksmund stammende Legende konnte bis heute nicht, auch nicht durch um fangreiche Erforschungen, belegt werden.
Grabstein
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So liegt die im Brudergrund angesiedelte Kapelle „Not Gottes“ über ihre Entstehungsphase ebenfalls in einer nicht erforschten Zeitrechnung im Dunkeln.
Von Historikern wird angenommen, dass die Kapelle bereits im 12. Jahrhundert im gotischen Stil errichtet und von Eremiten genutzt wurde. Eine offizielle Ersterwähnung wurde im Jahr 1396 bekannt, als die Örtlichkeit in einer Urkunde als „Bruderhaus“ aufgeführt wurde. Sie war Wallfahrtskapelle und den Heiligen St. Jakobus und St. Antonius geweiht.
Der Begriff „Not Gottes“ ist der volkstümliche Ausdruck für den lateinischen Begriff „Martyrium Christi“ und verweist auf das Leiden Christi am Vorabend seiner Kreuzigung.
Im Zuge der Reformation verfiel die Kapelle und die Mauerreste fanden als Steinbruch Verwendung.
Eine weitere Erwähnung erfuhr die Kapelle im Jahr 1497. In diesem Jahr wurde die Not Gottes Kapelle offiziell als Friedhofskapelle für Erbacher Bürger genannt, nachdem sich die Kirche in ein Erbacher und einem Michelstädter Patronat aufgeteilt hatte und wieder hergerichtet. An die Kapelle „Not Gottes“ schloss sich der Friedhof in westlicher Richtung an.
Der Brudergrund mit der Kapelle „Not Gottes“ blieb für die nächsten einhundert Jahre als Beisetzungsstätte und Andachtsraum der Erbacher Bürger erhalten, bis der Friedhof aus Platzgründen an den heutigen Ort verlegt wurde.
Erst im Jahr 1881 wurden die längst verschüttenden und nicht mehr sichtbaren Grundmauern der „Not Gottes“ auf Veranlassung von Graf Ernst zu Erbach-Erbach wieder freigelegt und in ihrer heute sichtbaren Form wieder hergerichtet.
Es wurden Ruhebänke aufgestellt um den zahlreichenden Erholungssuchenden eine Möglichkeit der Rast und Andacht zu bieten.
Im Jahr 1905 ließ die Gräfin Erika zu Erbach-Erbach und Prinzessin zu Stolberg-Stolberg die Anlage der „Not Gottes“ wieder erneuern und stiftete das noch heute vorhandene und zu bewundernde aus Oberammergau stammende Holzkreuz.
Heute ist es zur Tradition geworden, dass die evangelische Kirchengemeinde in den Sommermonaten am 1. Sonntag des Monats unter Mitwirkung des Posaunenchores einen Gottesdienst zelebriert.
Der Brudergrund zusammen mit der Kapelle „Not Gottes“ erfreut sich auch heute noch einer großen Beliebtheit für Erholungssuchende und Familien mit Kindern.
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Grillplatz             Schautafel Â
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