Die Odenwälder Wingerte


(von Manfred Kassimir)  

 

Der Ausdruck „Wingert“ ist auf das Ausgangswort „Weingarten“ zurückzuführen. Je nach Weinbauregion kann es dafür auch ähnliche Ausdrucks- formen, wie z. B. Wangert, Wengert, Wingart usw. geben.

All diese Ausdrücke umfassen einen gemeinsamen Begriff, der für eine landwirtschaftliche bestellte Ackerfläche zum Rebanbau genutzt wird.

Das Gebiet zwischen Syrien, Irak und Iran wird von den Forschern das Zweistromland genannt. Zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris, wo auch das „Paradies Eden“ vermutet wird, ist ein sehr fruchtbares Gebiet. Nach den heutigen Erkenntnissen wurden dort die ersten Weinreben durch Menschenhand kultiviert und zu Wein verarbeitet. Das Zweistromland ist nach heutigem Wissensstand die älteste Agrarkulturlandschaft der Menschheit.

     

Angepflanzte Weinrebe

 

In diesem Gebiet wurden Weinpressen ausgegraben, die auf ein Alter von ca. 4000 Jahren datiert wurden.

Den antiken Griechen dĂĽrfte es zu verdanken sein, dass die Weinreben in groĂźen Stil angebaut, weiterentwickelt und auf dem damals bekannten Globus verbreitet wurden.

Weinrebenanbau

 

Die Römer übernahmen den Rebenanbau von den Griechen und entwickelten diesen weiter, so wie wir noch heute den Weinanbau betreiben.

So sind gewisse Ausdrücke, die heute noch in Gebrauch sind, aus der lateinischen Sprache entlehnt, so z. B. “Most – mustum, übersetzt frisch, neu“; „Kelter – calcatura, übersetzt mit den Füßen treten“.

Der Wein verkörpert eine abendländische Kulturgeschichte.

Aber wie kam der Weinanbau in den Odenwald?

Durch die Expansion des „Römischen Reiches“ gelangte die Weinrebe auch über die Alpen in nördliche Regionen des heutigen Europas. Und so fand der Wein seinen Weg auch nach Germanien, an den Rhein, den Main, die Mosel und sogar an die Ausläufer des Odenwaldes.

Weinanbaugebiet „Schloss Reichenberg“

 

Entlang des Limes, der die römischen Ansiedlungen von den germanischen Stämmen trennte, wurden „Villa rustica“ angelegt, um die Grundversorgung der Grenztruppen sicherzustellen. Die römischen Siedler hatten die Gepflogenheit im Umkreis ihrer Liegenschaften Obst- und Weingärten anzulegen. So auch im östlichen Limesgebiet und auch dem Odenwald.

Die klimatischen Verhältnisse ließen es zu, z. B. an der Bergstraße, dem Breuberg, dem Reichenberg, Lichtenberg oder Groß-Umstadt den Weinanbau in größerem Umfang zu betreiben. Auch andere, kleinere Anbaugebiete kamen hinzu.

Nach dem Untergang des „Römischen Reiches“ wurde die Weinanbaukultur beibehalten. Klöster übernahmen die weitere Kulturpflege der Wein- reben und die Pflege der Weingärten (Wingerte). Wingerte wurden in Hanglagen angelegt und durch Trockenmauern terrassiert. So wurde eine größere Anbaufläche in klimatisch bevorzugten Gebieten geschaffen.

      

Weinanbaugebiet „Burg Breuberg“ mit noch sichtbaren Trockenmauern

 

Wurde der Wein bisher in tönernen Krügen, den sogenannten Amphoren, bis zum Verzehr aufbewahrt, gingen die Mönche dazu über, den Wein in Holzfässern zu lagern. Der Vorteil eines Holzfasses besteht darin, den Wein über den Spund in kleineren Mengen abzuzapfen, ohne dass der oben liegende Schutzfilm dabei beschädigt wurde. Diese Art der Lagerung wird bis in die heutige Zeit beibehalten.

Schrittweise wurde die Qualität des Weines verbessert. Wein wurde sogar als Zahlungsmittel akzeptiert.

In der Regierungszeit Karls des Großen wurde der Weinanbau weiter gefördert. Die größte flächenmäßige Ausdehnung des Weinanbaues war im Mittelalter erreicht.

Der 30jährige Krieg brachte den Weinanbau fast zum Erliegen. Der Ausbruch der Pestseuche tat ein Übriges. Viele Wingerte lagen brach; Menschen die in den Weingärten arbeiten konnten, waren nicht vorhanden. Die Anbauflächen schwanden. So auch im Odenwald. Brachliegende Weinanbauflächen wurden in Obstplantagen umgewidmet, um daraus Nutzen zu ziehen. Und freie Bauern übernahmen oftmals in dieser Zeit größere Weinanbauflächen. Im Laufe der Zeit hatten sich die Trinkgewohnheiten der Bevölkerung verändert. Bier, Apfelwein und Weinbrand wurden von den Einwohnern bevorzugt, da diese erschwinglich waren.

Der Weingenuss blieb der gehobenen Bevölkerungsschicht vorbehalten.

    

Weiße Weintraube               Rote Weintraube

 

Aber für besondere Ereignisse oder Geschäfte blieb der Wein von besonderer Bedeutung.

So bürgerte es sich im Volksleben ein, Vertragsabschlüsse, gleich welcher Art (Kauf, Tausch, Gutsübergabe, Hochzeitsversprechen) mit einem Schluck Wein zu besiegeln und diesen für rechts- kräftig zu erklären. Diese Vertragsabschlüsse wurden als „Weinkuff“ bezeichnet. 

Sogar Steuern wurden mittels Weinabgabe entrichtet. So ist im Schloss Heidelberg noch ein Wein-fass zu besichtigen, dessen Rauminhalt 220.000 Liter Wein umfasst.

Die Winzer, wie man die Landwirte für Rebenanbau bezeichnete, entwickelten im Laufe der Zeit Begriffe für verschiedene Weinqualitäten, die bis heute noch im Gebrauch sind:

Kabinett, Spätlese, Auslese,

die sich noch einmal in Landwein, Qualitätswein und Prädikatwein untergliedern.

Zudem unterscheiden sich die Weine durch ihre Verarbeitung.

Weißwein – die Traube wird gepresst und der dar- aus gewonnene Most vergoren.

Rotwein – die Traube wird gemaischt und das Fruchtfleisch wird mitvergoren. So verbleiben die sogenannten Tannine im Wein und sind für die Rotfärbung des Weines verantwortlich.

Bis auf die bekannten Weinanbaugebiete blieben im Odenwald lediglich die Groß-Umstädter Weininsel erhalten.

Wingertschutzhaus

 

Flurnamen im Odenwald weisen heute immer noch auf ehemaligen Weinanbau hin. Philipp Buxmann(Landvermesser und Hobbybrauchtumsforscher) erfasste katalogmäßig die noch heute gebräuchlichen Gewannbezeichnungen und hielt diese für die Nachwelt fest.

So haben sich die Bezeichnungen wie z. B. „Im Wingert, Wingertsberg, Wingertswäldchen, Pfarrweinberg, Mühlweinberg“ und ähnliche Flurbegriffe erhalten. 

Erst in heutiger Zeit besinnt sich der eine oder andere Kleinlandwirt oder Wingertbesitzer auf die Tradition des Weinanbaues. So wurden in diesem Jahr (2023) an der südlichen Hanglage des Breubergs ehemalige Wingerte rekultiviert und neue Rebstöcke angepflanzt. 

Es gibt fĂĽr den Wein viele unterschiedliche Mengenbezeichnungen. Hier ein FlĂĽssigkeitsmaĂź:

Ohm – dieser Begriff entstammt dem Wort Eimer und beinhaltet nach heutiger Berechnung 134 Liter.

1 Ohm sind 20 Viertel und diese sind 80 Maß. Aus 80 Maß werden 320 Schoppen erlangt und 1 Schoppen sind 0,25 Liter Flüssigkeit. In heutigen Gaststätten ist ein Schoppen Wein sehr gebräuchlich.

Zum Schluss noch die eine oder andere Weinweisheit:

„Der Wein ist unter den Getränken das Nützlichste,

unter den Arzneien das Schmackhafteste,

unter den Nahrungsmitteln das Angenehmste“

(Plutach-griech. Schriftsteller 45-127 n. Chr.)

 

Wein ist die Nachtigall unter den Getränken

(Voltaire franz. Schriftsteller 1694-1778)

 

      

Burg Breuberg aus der Vogelperspektive

 

 

Quellen

 H. W. Debor

 Odenwälder Weinbau

 Hermann Eiermann  Weinbau in Eberbach 15.-18. Jh.
 Karl Esselborn  Hessens Weinbau Steinenbronn
 Götz Gußmann

  In vino veritas –Scribo-Verlag

Trautgott Hartmann

600 Jahre Weinbau am und um den Breuberg

Ernst Hieronymus

Weinbau im Odenwald

700 Jahre Reichelsheim

Friedrich Höreth

„Woiguff schließt Läwe uff“ Geschichte und Geschichten aus dem Odenwald Bd. 1

Rudolf Kunz

Der Weinberg am Rodenstein

Rudolf Steffens

Wingert – Uni Mainz Germanistik

Thomas Steimetz

Weinbau in der Grafschaft Erbach –gelurt 2009

Brensbach als Weinbauort

Georg Volk

Der Odenwald und seine Nachbargebiete – Ackerbau, Obstbau und Weinbau

Winfried WackerfuĂź

Weinbau in Reinheim und den heutigen Stadtteilen vor dem 30jährigen Krieg, Breubergbund 3/2010

Herrschaftliche Weinberge Odenwälder Quartalblätter 1989-93

Der Weinbau – Kultur- u. Sozialgeschichte des Odenwaldes im 15. Jh.

Wikipedia

Weinberg

Manfred Kassimir

Text und Bilder

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