Odenwälder Wagnerhandwerk


(von Manfred Kassimir)   

 

Zunftzeichen der Wagner

 

Der Wagner oder Stellmacher ist ein Handwerker, der landwirtschaftliche Geräte aus Holz fertigt. Der bedeutendste Teil seiner Arbeit ist die Herstellung von Holzrädern.

Das Rad ist mit der wichtigsten Erfindung der Menschheit. Ohne das Rad wäre eine technische Fortentwicklung nicht möglich. 

Man stelle sich heute ein Leben ohne die Erfindung des Rades vor. Ohne das Rad wäre unser Leben, wie wir es heute kennen, schwer oder überhaupt nicht möglich.

Es ist der Klugheit und der geistigen Fortentwicklung des Menschen zu verdanken. In der Natur gibt es kein vergleichbares Vorbild für die Schaffung eines Rades. Die Wiege für jede mechanische Technik war mit der Erfindung des Rades geboren.

 

Vollständiges Rad

Zur Geschichte:

Bevor das Rad erfunden wurde, behalf sich der antike Mensch mit Ziehschlitten oder Stangenschleifen, um schwere Gegenstände von einem Ort zum anderen zu bewegen. Diese Art des Transportes war recht mühselig, da der Gleitwiderstand erheblich war. Auch mit Rundbalken, die auf ebener Fläche parallel zueinander gelegt wurden, konnten größere Gewichte bewegt werden.

Auch konnte der Mensch bestimmte Waren gewichtsunabhängig transportieren.

Eine weitere Transportmöglichkeit war die Nutzung der Wasserwege.

 

Transportweg „Wasser“

 

Die Entdeckung des Rades wird durch die Wissenschaft auf die heutige Zeitrechnung um ca. 3500 v. Chr. festgelegt. Für diese Zeit konnten die ersten Räder aus Holz nachgewiesen werden.

Waren die ersten Räder noch aus einem quer zum Holzstamm ausgeschnittenen Holzscheibe mit Achsloch gefertigt, blieb die Weiterentwicklung des Rades nicht stehen. Konnten keine Räder aus einer Holzscheibe gefertigt werden, wurden mehrere Holzbohlen auf eine Rundung zurechtgeschnitten und als Rad zusammengefügt.

Holzscheiben als Rad

 

Um das Gewicht eines Rades zu reduzieren, ging die Entwicklung des Scheibenrades zum Auskehlen der Scheiben zum Speichenrad über.

Für den weiteren Fortschritt des Rades sorgte die Militärmaschinerie. Um ihre Streitwagen leichter und wendiger zu machen, wurden die Räder mit Bronzespeichen gefertigt. Die weitere Entwicklung zeigt später die Räder mit Holzspeichen- und -felgen. Lediglich die auf der Achse reibende Innenfläche und die äußere Lauffläche der Felge wurden mit Metall beschlagen.

 

                           

                                                Zahnraderfindung von  Leonardo da Vinci                               Mittelnabe aus Holz    

                                                                   

 

Das Universalgenie Leonardo da Vinci erfand Maschinen mit Zahnradantrieb.

Freiherr von Drais begann im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung mit dem Bau von Laufrädern und somit der neuzeitlichen Mobilisierung.

 

   

Erfindung des Fahrrades durch Baron Freiherr von Drais

 

Die Verwendung von Metallspeichen kam erst wieder mit dem beginnenden Eisenbahnzeitalter (frühes 19. Jahrhundert) zum Einsatz. 

Mittlerweile dienen Räder nicht nur zur Fortbewegung, sondern haben auch ihren festen Platz bei der Kraftübertragung eingenommen (Umlenkrolle, Flaschenzug, Zahnrad, Uhrwerk).

 

Der Beruf „Wagner“ oder „Stellmacher“

Um den Beruf des Wagners ausüben zu dürfen, war der Handwerker verpflichtet, seiner Zunft, in diesem Fall der Zunft der Wagner, beizutreten. Ohne Zunft kein Handwerk. 

Die Ausbildungszeit eines Lehrlings zum Gesellen betrug 3 Jahre. Der Lehrling hatte ein Ausbildungsgeld zu bezahlen. Dafür nahm der Meister den Lehrling in seiner Familie auf. Dort erhielt er Verköstigung und die Berufskleidung gestellt.

Um seinen Meistertitel zu erlangen, musste der Geselle drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft gehen, um seine Kenntnisse in seinem Beruf zu erweitern.

 

Wanderbursche

 

Die wichtigsten Werkzeuge eines Wagners

Schablonen verschiedener Größe, Drechselbank, Axt, Beil, Bohrer verschiedener Durchmesser, Stemmeisen, Hobel, Klopfholz, Schieblehre, Ziehmesser, Säge, Schmiege, Zirkel.

 

Arbeitsgeräte des Wagners

Das Holz:

Der Auswahl des zu verarbeitenden Holzes kommt beim Radbau eine große Bedeutung zu, da dieses durch Gebrauch einer großen Belastung ausgesetzt ist.

Unterschiedliche Holzarten kommen zum Bau eines Rades in Betracht. Dazu zählen Eiche, Esche, Buche, Akazien und Hickory, um nur die wichtigsten Holzarten zu nennen.

Sehr oft sucht der Wagner die von ihm benötigten Bäume für den eigenen Bedarf selbst aus, um ihn zu fällen, zu verarbeiten und ihn zu lagern. Üblicherweise muss das geschlagene Holz zwei bis drei Jahre lagern, bevor es zum Verarbeiten geeignet ist.

Der Aufbau des Rades:

Das Holzrad besitzt verschiedene Bestandteile aus Holz und Metall. Das zu verarbeitende Holz muss astrein und zäh sein, das heißt, ohne Astlöcher.

Der Mittelpunkt des Rades ist zunächst die Nabe, als sogenanntes Herzstück.

 

Vorgefertigte Mittelnabe

 

Um eine Nabe herzustellen, bedarf es eines zähen und widerstandsfähigen Holzes. Eiche, Esche oder Hickory sind dafür besonders geeignet. Diese Holzteile sollen aus dem Kernholz des Stammes bestehen.

Auf einer Drehbank wird das Holzstück gerundet. Anschließend werden mittels Schablone die späteren Zapflöcher für die Speichen aufgezeichnet. Mit einem Spezialbohrer wird das Nabenloch gebohrt und anschließend die rechteckigen Zapflöcher ausgestochen.

Zur Fertigung der Speichen wird ebenfalls Eschen- und Eichenholz genutzt.

Die Speichen werden mit der Bandsäge grob zugeschnitten und anschließend mit dem Ziehmesser endbearbeitet.

 

Bearbeitung der Speichen

 

Bearbeitung der Felgenteile

 

 Die beiden Enden der Speichen erhalten Verzapfungen. Die Verzapfung, die in die Nabe eingeführt wird ist rechteckig angelegt, die von der Dimension her etwas größer angelegt ist, wie das Zapfloch in der Nabe. Die Verzapfung am anderen Ende der Speiche wird rund gezapft und später in die Felge eingeführt.

Vor dem Einsetzen der Speiche in die Nabe wird diese gekocht, um das Holz geschmeidiger zu machen. Noch in heißem Zustand werden die Speichen in die Nabe eingeschlagen. Mittels einer Schnur wird der Radius des Rades festgelegt und die Speichen entsprechend eingekürzt.

Je zwei Speichen sind für ein Felgenteil vorgesehen. So ergeben z. B. für sechs Felgenteile zwölf Speichen, die für den Radzusammenbau notwendig sind.

 

Ansetzen der Felgenteile:

Felgenteile werden verzapft

 

Die Felgenteile bestehen meist aus Buchenholz. Mittels einer Schablone werden die Teile auf Krümmung zugeschnitten, sodass diese in ihrer Gesamtheit einen Kreis bilden.

Die Aufnahmelöcher für die Speichenzapfen werden durch das Felgenholz gebohrt. Die Speichenzapfen erhalten am oberen Ende einen Einschnitt, um später mit einem Holzkeil in der Felge verkeilt zu werden. 

Auf der Stirnseite erhalten die Felgenteile Löcher, in die Dübel eingelassen werden und so die Felgenteile miteinander verbinden.

Sind die Holzteile des Rades zusammengefügt, wird ein Eisenreifen über die Außenseite des Holzrades gezogen.

 

Fertiges Wagenrad mit Eisenbereifung

 

Die Herstellung des Eisenreifens ist die Aufgabe eines Schmiedes. Der Eisenreifen, der in kaltem Zustand im Innendurchmesser etwas kleiner bemessen ist wie der Außenradius des Holzrades, wird rotglühend erhitzt. Durch das Erhitzen dehnt sich das Metall aus. Der Reifen kann über die Holzfelge gezogen werden. Pro 30 cm Eisenreifen dehnt sich das Metall beim Erhitzen um 3 mm aus. Er kann in diesem Zustand mühelos über das Holzrad aufgeschrumpft werden.

Sitzt der Ring auf der Holzfelge, wird das Rad sofort mit Wasser abgekühlt, um einen Brand des Holzes zu verhindern. Durch die Abkühlung zieht sich das Metall zusammen und bewirkt so das Zusammenpressen der Holzteile. Die Presskraft des Ringes ist so groß, dass ein Verleimen des Holzes nicht nötig ist.

Sind die Radteile zusammengefügt, wird das Nabenloch erweitert.

Durch den Schmied wird eine Nabenbuchse, die an einer Seite mit einem Dorn versehen ist, geschmiedet. Diese Buchse wird in das Nabenloch eingeschlagen. Der Dorn verhindert das Verdrehen der Buchse im Nabenloch.

Mit diesem letzten Arbeitsgang ist die Fertigung eines Holzrades abgeschlossen.

Ein alter Handwerkspruch über die Herstellung eines Holzrades lautet:

 

„Naben von einem Tag,

Speichen von einem Jahr,

Felgen von vier Wochen,

das gibt ein Rad wie Knochen“,

 

was besagen will, dass das gefertigte Rad allen belastbaren Ansprüchen genügt.

Das Handwerk der Wagnerei ist fast aus dem wirtschaftlichen Alltag verschwunden und die technischen Fähigkeiten zur Herstellung eines handwerklich hergestellten Holzrades gehen verloren. Der Lehrberuf des Wagners ging in die Ausbildungsberufe Karosserie- und Fahrzeug- Bauer über. Der „Wagner“ begnügt sich mit einem Nischendasein um vereinzelt Holzräder oder Zierräder herzustellen.

 

 

 

Quellen

 Dr. P Albrecht/ und Horst Wolniak

Die Geschichte des Handwerks

Der Wagner- Edition GmbH Fränkisch Crumbach 2004

Frank Behnke

Das Holz, Deutscher Handwerksverband 1924

 Geo-Chronik

Nr. 3 - Das Rad

 Max Grempe

Dämpfen und Biegen des Holzes, Deutscher Handwerkverband 1924

Holzwurm.de

Holzrad - Stellmacher

W. Leber/B. Burges

Der Mann vor der Berufswahl - Stuttgart 1996

Ernst Lenth Technik des Stellmachers, Deutscher Handwerksverband 1924
Rudolf Müller

Das Rad - Deutscher Handwerkverband 1924

Ralf Pfeifer Zahnräder aus Holz - Deutsches Museum München
Reinhold Reith Wagner - Lexikon des alten Handwerks
Karl Schwinn Altes Handwerk - Verlag Ellen Schmied
John Seymour Vergessene Künste - Urania-Verlag Stuttgart 1984
Marina Speer Jeder Wagen ist ein Unikat - Darmstädter Echo 6. 6. 2019
Verkehrsministerium Rheinland-Pfalz Die Geschichte des Rades
Otto Weber Altes Handwerk im Odenwald - Saarbrücker Druckerei und Verlag 1991
Wikipedia

Wagner, Stellmacher

Die größte Erfindung "Das Rad"

Gut 5000 Jahre dreht sich das Rad

Geniale Erfindung

Manfred Kassimir

Text und Bilder

 

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