Odenwälder Deichel-oder Dohlenbohrer


(von Manfred Kassimir)

Wasser ist das wichtigste Element des Lebens. Ohne Wasser ist ein Leben auf diesem Planeten nicht möglich.

So beschreibt ein afrikanisches Sprichwort die Bedeutung des Wassers:

 

„Wasser, wenn du es hast, es ist nichts!

Wasser, wenn du es nicht hast, ist alles!“

                                     (Verfasser unbekannt)

 

Der Mensch ist auf klares, genießbares Wasser angewiesen, um zu überleben.

In der heutigen Zivilisation ist klares, sauberes Wasser kein Problem. Große Wasserspeicher mit Filteranlagen und ständiger Qualitätsüberwachung gewährleisten ein gesundes Nass. Das Öffnen und Schließen eines Wasserhahnes im häuslichen Bereich ist eine Selbstverständlichkeit, über die sich heute niemanden mehr Gedanken machen muss.

Diese Selbstverständlichkeit war in der Vergangenheit nicht immer so.

Wasserfall

 So suchte der Mensch immer die Nähe des lebensspendeten Wassers. Er gründete Siedlungen in der Nähe von Wasserquellen, um sein Überleben zu sichern. Konnte er direkt aus der Quelle schöpfen, war die Ansiedlung kein Problem.

Quelle

War dies aber nicht möglich, wurde das Wasser mittels Behälters von der Quelle über längere Wegstrecken zur Unterkunft getragen. Diese Arbeit war überwiegend Frauenarbeit und sehr zeitaufwändig.

So kam es bald zur Weiterentwicklung der Wasserversorgung. Die Quellen wurden in Brunnenkammern gefasst und es wurden hölzerne Leitungen verlegt, um das Wasser an seinen Bestimmungsort zu leiten.

 

Brunnerkammer Kiliansquelle

Diese ausgehöhlten Baumstämme wurde „Deichel“ genannt, die zusammengefügt die öffentlichen Laufbrunnen in den Ortschaften mit Wasser versorgten.

Diese Laufbrunnen waren einem sehr strengen Reglement unterworfen. Es durfte an diesen Brunnen keine Wäsche gewaschen oder andere Verunreinigungen vorgenommen werden.

So weißt z. B. in Michelstadt eine Brunnenkammer die Jahreszahl 1577 auf. Das bedeutet, dass in diesem Jahr die Laufbrunnen in Michelstadt bereits durch Deicheln mit Frischwasser versorgt wurden.

Zum Frühlingsanfang wurden die Laufbrunnen auf Schäden, die über den Winter entstanden waren, untersucht, gereinigt und instand gesetzt. Diese Arbeiten wurden von den Dorfbewohnern, oder in den Städten von dazu Beauftragten, durchgeführt, In Erbach wird diese Arbeit noch traditionell von verschiedenen Vereinen ausgeführt. Nach getaner Arbeit werden die Brunnen geschmückt und ausgiebig dazu getanzt und gefeiert.

 

Hans-von-der-Au-Gruppe bei der Brunnenschmückfeier zu Pfingsten

Um aber die Brunnen am Laufen zu halten, wurden die entsprechenden Zuleitungen, die Deicheln, benötigt. 

Diese Holzstämme, meist aus Tannen- oder Fichtenstämmen, von ca. vier Metern Länge, wiesen in der Mitte in Längsrichtung ein ca. 6-10 cm großes, durchgängiges Bohrloch auf.

Um einen Baumstamm zur Deichel verarbeiten zu können, musste dieser frisch geschlagen sein oder nach dem Schlagen in Teichen, den sogenannten „Weeden“ gelagert werden. Eine solche Weede befand sich in Michelstadt im westlichen Bereich des heutigen Stadtgartens im Anschluss an den Biergarten der Gaststätte „Grüner Baum“.

War der Holzstamm zum Bearbeiten vorgesehen, wurde dieser waagrecht auf ein Holzgerüst gelegt. Parallel dazu wurde eine Schnur gespannt, um die spätere Bohrrichtung kontrollieren zu können.

 

                               

Bild: Hr. Johe Touristikbüro Gemeinde Lindenfels Deichel-Dohlenbohrer im Einsatz                        Technik des Deichelbohrens

Eine Eisenstange, Löffelbohrer genannt, an dessen einem Ende ein löffelartiges Schneidgewinde angebracht war, wurde mittig auf die Stirnseite des Baumes aufgesetzt. Am anderen Ende der Bohrstange befand sich ein angeschweißtes T-Stück oder durch eine Öse durchgeführte Querstange.

Der Löffelbohrer, ca. zwei Meter lang,    wurde ebenfalls waagrecht zum Holzstamm ausgerichtet. Durch Drehbewegungen des Bohrers wurde eine Öffnung  in den Stamm gebohrt. Dazu musste der Bohrer öfters aus dem Bohrloch herausgezogen werden, um die darin befindlichen Holzspänen nach draußen zu befördern. Hatte der Deichelbohrer der Länge nach seinen Endpunkt erreicht, wurde die gleiche Arbeit von der entgegengesetzten Seite verrichtet. Das Ziel der Arbeit war es, die beiden Bohrlöcher mittig zusammenzu- führen, um den späteren Wasserfluss zu gewährleisten.

 

Deichelbohrgerät

Bohrer Im Originaleinsatz

Um diesen Durchfluss zu überprüfen, wurde durch den Deichelbohrer die „Deichelmaus“ eingesetzt.

Die Deichelmaus war eine lange Eisenstange, an deren Ende ein mausförmiger Kopf angebracht war. Der Mauskopf hatte den Durchmesser der für den Lochdurchmesser der Deichel vorgegeben war. Konnte die Deichelmaus das vorgearbeitete Loch nicht ungehindert passieren, musste mit dem Bohrer nachgearbeitet werden.

Die gefertigten Deicheln wurden bis zu ihrer Verwendung in der Weede vorrätig gehalten. Durch die Lagerung im Wasser wurde die Deichel gleichmäßig feucht gehalten. Dadurch konnten Trockenrisse vermieden werden.

Sollten die Deicheln zu einer Wasserleitung zusammengefügt werden, wurden in die gebohrten Öffnungen konische Eisenbuchsen eingeschlagen, die die Deicheln untereinander verbanden. Anfang und Ende der Deichel wurden mit Eisenmanschetten eingefasst, um ein Aufspleißen zu verhindern. Werg aus Schafswolle oder Flachs zusammen mit dem Pech der Birke kamen als Dichtmittel zur Anwendung.

 

Zeichnung Deichel mit konischer Verbindung
Alte, ausgegrabene Deichel/Dohle mit Anschlussbuchse

Bei der Leitungsverlegung war es wünschenswert, dass die Holzstämme in einem Lehmbett verlegt wurden. Lehm hat die Eigenschaft, Feuchtigkeit über einen längeren Zeitraum zu binden. Je nach Bodenbeschaffenheit konnte eine Deichel zwischen 10 und 100 Jahre in Gebrauch sein.

Trotz sorgsam verlegten Leitungen mussten immer wieder Deicheln erneuert werden. Sei es, dass die verlegten Deicheln einem extrem starken Druck nicht Stand gehalten hatten, harte Winter auf die Haltbarkeit der Deicheln Einfluss nahmen oder Wurzeleinwüchse die Deicheln unbrauchbar machten. Für diese Arbeiten gab es den Beruf des Wassermeisters. Dieser war dafür verantwortlich, dass immer genügend Deicheln vorrätig waren um bestehende Schäden auszubessern.

Eisenrohre, die in der Folgezeit  die Holzdeicheln ersetzten, waren ein weiterer bedeutender Fortschritt der Wasserversorgung, der sich bereits im 19. Jahrhundert vollzog.

 

   

 Quellen

Alemanische Seite Wissen-Deichel, Deuchel
Philipp Buxbaum Michelstadt in Wort und Bild - Börsig-Verlag DAFNG
Darmstädter Echo Per Hand gebohrt 09.01.2021
Johann Heim Geschichten um St. Kilian und die Heilig Geist Kapelle in Michelstadt

 

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