Der Beerfelder Galgen


(von Manfred Kassimir)

Der „Dreischläfrige Galgen“ in Beerfelden

 

Ein Galgen ist fest mit dem Begriff „Justiz“ verbunden. Bis ins späte Mittelalter war der Begriff „Justiz“ nicht geläufig.

Streitigkeiten, seien es nach heutigen Begriffen zivile Ansprüche oder auch Straftaten, wurden von streitenden Parteien persönlich geregelt. Diese Regelung führte in der Regel zu Sühnezahlungen, Errichten von Sühnekreuzen oder Sühnewallfahrten. Es führte aber auch zu Familienfehden, die sich über Generationen hinziehen konnten.
Das änderte sich mit dem Datum 07. August 1495.
Der König und spätere Kaiser Maximilian I. erließ zum Reichstag zu Worms den sogenannten „ewigen Landfrieden“. Diese Bestimmung besagte, dass es bei Rechtstreitigkeiten und Straftaten dem jeweiligen Landesherrn obliegt, „Recht zu sprechen“. Privatfehden wurde unter Strafandrohung untersagt. In dieser Verordnung wurden Strafrahmen festgelegt, in dessen Rahmen „Recht gesprochen“ wurde, z. B.:

 

Zänkische Weiber –  Halsgeige
Betrügerische Bäcker –  Bäckerkorn
Betrug an Unkundigen –  Pranger, Halseisen
Schwere Straftaten –  Köpfen, Vierteilen, Rädern, Hängen.

 

Diebe wurden am Galgen vom Leben zum Tod befördert, Hexen erlitten ebenfalls den Galgentod oder die Übergabe an das Feuer. Mörder wurden durch das Richtschwert hingerichtet.

Verantwortlich für die Durchsetzung der Strafen waren die zuständigen Landesherren, sodass das Gewaltmonopol auf den Staat, bzw. auf dessen Vertreter übertragen wurde. Der Begriff „von Amts wegen“ ist im der heutigen Recht immer noch ein gültiger Begriff.

Es dauerte noch bis 1532, bis sich dieses Recht endgültig durchgesetzt hatte. Kaiser Karl V. erließ die „peinliche Gerichtsordnung“, die sogenannte „Carolina“, die festgelegte, wie ein Strafprozess abzulaufen hatte.

Zuständig für die Gerichtsbarkeit der Grafschaft Erbach war in der Oberzent der Zentgraf und das Zentgericht.

Die Gerichtsbarkeit war in zwei Stufen eingeteilt:

 

- Die niedere Gerichtsbarkeit
- Die hohe Gerichtsbarkeit oder die Blutgerichtsbarkeit Blutgerichtsbarkeit
Zur niederen Gerichtsbarkeit gehörten die Strafen
„An den Pranger stellen, Schnappgalgen, Brandmarken“ usw.

 

Die Hohe- oder Blutgerichtsbarkeit verhängte Höchststrafen bis hin zu Hinrichtungen mittels Schwertes, Vierteilen, Rädern oder Erhängen.

                                      

 Originalrichtwert der Stadt Michelstadt für die "Hohe oder Blutgerichtsbarkeit"

 

 

Inschrift des Richtschwertes 

 

Pranger für die "Niedere Gerichtsbarkeit"

 

Nur in bestimmten Städten tagte die „Hohe- oder Blutgerichtsbarkeit“. Das Wahrzeichen als das Symbol der Rechtsprechung diente ein Marktkreuz aus Holz mit Schwert und erhobener Hand. Das Kreuz bedeutete als Zeichen des Marktfriedens, die Hand als königlicher Schutz und das Schwert symbolisiert die Blutgerichtsbarkeit.

Das Marktkreuz von Neustadt mit Schwert und erhobener Hand

 

  

Wurde über einen Straftäter Recht gesprochen, fand eine Verhandlung unter freiem Himmel unter einer Linde, statt. Die Schöffen unter dem Vorsitz des Zentgrafen sprachen das Urteil über den Delinquenten. Kam es zu einem Urteilsspruch, das den Tod des Verurteilten zur Folge hatte, brach der Zentgraf einen Holzstab über dem Kopf des Verurteilten entzwei. Und damit war das Urteil rechtskräftig.

Nach dem Urteilsspruch wurde der Verurteilte unter der Teilnahme der Bevölkerung zur Hinrichtungsstätte geführt.

So bewegte sich der Verurteilte in seinem Büßerhemd vom Lindenplatz in westlicher Richtung zu einer ca. 500 Meter entfernt gelegene Anhöhe mit einem weithin sichtbaren Ausblick über das Mümlingtal.

Auf dieser Anhöhe, zwischen Beerfelden und Airlenbach gelegen, erhebt sich weithin sichtbar, ein Galgengestell. Diesem gut erhaltenen Galgen wird nachgesagt, dass er der beste erhaltene Galgen Deutschlands ist.

Drei toskanische Säulen sind in einem gleichschenkligen Dreieck angeordnet und ragen rund fünf Meter in die Höhe. Die Säulen sind mit Holzbalken, verstärkt durch Metallbänder, miteinander verbunden, was dem Galgen den Namen „Dreischläfrigen Galgen“ einbrachte.

Dieser Galgen wurde nachweislich im Jahr 1597 errichtet und ersetzte einen im Jahr 1550 errichten Holzgalgen.

An jedem Querbalken sind 2 Ketten angebracht, deren Enden zu einem Haken auslaufen. Es bestand somit die Möglichkeit, insgesamt sechs Delinquenten gleichzeitig hinzurichten.

Vermutungen, dass bereits die Germanen an gleicher Stelle eine Hinrichtungsstätte errichtet hatten, wird von dem römischen Historiker „Tacitus“ beschrieben, der Hinrichtungen der Germanen durch Erhängen am Galgen in seinen Niederschriften beschrieben hat.

Auf dem ebenen Plateau vor dem Galgen sind Sandsteinplatten in Kreuzform eingelassen. An dieser Stelle hatte der Verurteilte die Möglichkeit, zu Beten und die Absolution durch einen Priester zu empfangen.

 

Sandsteinplatten in Form eines Kreuzes

 

Das Areal um den Hinrichtungsplatz ist mit Stellplatten aus Sandstein abgestellt.

Ein Gedenkstein neben dem Galgen erinnert an die letzte Hinrichtung 1804. Eine Zigeunerin, die wegen dem Diebstahl eines Huhnes und zweier Laib Brot zum Tod durch Erhängen verurteilt wurde. Diese Geschichte kann in das Reich der Fabel verwiesen werden, da die Landesherren, die Grafen zu Erbach, liberal eingestellt waren und sich nicht wegen dem Diebstahl von Lebensmittel, heute würde das als Mundraub bezeichnet, die Höchststrafe aussprechen würden.

Wie viele Verurteilte am Beerfelder Galgen vom Leben zum Tode befördert wurden, kann heute auch mit modernsten Forschungsmethoden nicht mehr nachvollzogen werden. Die Stadt Beerfelden wurde am 29. April 1810 durch einen Großbrand nahezu vollständig zerstört und damit vielen auch alle Gerichtsakten und Urkunden dem Brand zum Opfer.

Lediglich eine Verurteilung aus dem Jahr 1746 ist noch in einem Kirchenbuch erhalten geblieben. In diesem Jahr wurde ein Ehebrecher, der sich auf seiner Flucht auch noch des schweren Diebstahls schuldig gemacht hatte, zum Tode verurteilt. Er wurde zunächst angegalgt und später hingerichtet.

Den Ausdruck „Angegalgt“ muss hier an dieser Stelle noch näher erklärt werden:
War ein Verurteilter flüchtig und das Urteil konnte nicht unmittelbar nach der Verurteilung vollstreckt werden, wurde statt die Person dessen Bild mit Beschreibung am Galgen befestigt, bis man der tatsächlichen Person habhaft werden und das Urteil vollstreckt werden konnte.

Nach der Urteilsvollstreckung wurde der Hingerichtete nicht einfach vom Galgen abgenommen und auf dem Schandacker begraben. Zur Abschreckung für andere blieb der Verurteilte so lange am Galgen hängen, bis er von selbst abfiel. Die Überreste wurden auf dem nahe gelegenen Schandacker verscharrt.

Der Scharfrichter, der die Todesurteile vollzog, war ein eigenständiger Beruf, der auch als unehrlicher Beruf bezeichnet wurde. Er wohnte am Rande einer Stadt und hatte keine sozialen Kontakte zu seinen Mitmenschen. Seine Nachkommen durften keine ehrlichen Handwerksberufe erlernen und konnten nur unter ihresgleichen heiraten.

Das Amt des Scharfrichters brachte nicht so viel Verdienst ein, dass er damit seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. So verdingte er sich in der Regel als Kloakenreiniger, Abdecker, Hundefänger und ähnlichen Tätigkeiten.

Blick vom Galgen auf das Mümlingtal

 

Es gab am Beerfelder Galgen auch Kuriositäten, die sich dort zugetragen haben sollen:
So schrieb der Heimatdichter Adam Karillon eine mündlich überlieferte Geschichte nieder, die trotz allem Ernst der Sache ein leichtes Schmunzeln verursacht:
So wurde der Wilddieb Kaspar Sachs aus Kirch-Brombach wegen erneuter Wilddieberei zum Tode verurteilt und Richtung Hinrichtungsstätte geführt. Auf dem Weg zum Galgen suchte er das Gespräch mit dem Scharfrichter. Er bat diesen bei der Hinrichtung darauf zu achten, den Strick auf seinen Kropf anzulegen, da er unterhalb des Kropfes sehr kitzlig sei. Für diese kleine Gefälligkeit versprach er dem Henker seine Tabakpfeife mit Inhalt.

Der Scharfrichter ließ sich auf diesen Handel ein. Während der Kaspar Sachs am Henkerstrick nach oben gezogen wurde, rutschte die Schlinge vom Kropf über die Nase und dem Kopf des Verurteilten, riss diesem dabei die Pfeife aus dem Mundwinkel und fiel zu Boden. Schnell rappelte sich Kaspar Sachs auf, packte seine Pfeife und rannte dem Mümlingtal entgegen. Die Obrigkeit, die bei der Hinrichtung als Zeuge zugegen war, kommentierte diese Hinrichtung damit, dass dem Urteil Genüge getan worden sei.

Bereits im Jahr 1778 wurden durch Kaiser Josef II. Planungen angestellt, die Todesstrafe abzuschaffen. Es währte aber noch bis in das Jahr 1806, dass durch Kaiser Napoleon auch in deutschen Landen die Gerichtsbarkeit neu geordnet wurde und den bisherigen Landesfürsten (hier die Grafen zu Erbach) die hohe Gerichtsbarkeit entzogen wurde.  Die Grafschaft Erbach wurde dem Großherzogtum Hessen zugeordnet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Grafen zu Erbach unmittelbare Reichsgrafen und nur dem Kaiser direkt unterstellt. Sie betrieben ein eigenes Münzwesen und hatten die Verantwortung für die niedere und hohe Gerichtsbarkeit.

Was dieser Neuordnung zwangsläufig folgte, war die Anordnung den Beerfelder Galgen niederzulegen. Der Übergang von alter zu neuer Ordnung, die längere Zeit in Anspruch nahm, ist es zu verdanken, dass der Beerfelder Galgen in seinem Originalzustand erhalten geblieben ist. Es verzögerte sich um Jahre, bis die Anordnung zur Niederlegung des Galgens in Beerfelden offiziell eingetroffen war. Zwischenzeitlich war aber das 1. Denkmalschutzgesetz in Kraft getreten, in dessen Schutzbereich auch der Beerfelder Galgen als Kulturdenkmal eingestuft wurde und damit unter Schutz gestellt wurde.

     

 

Quellen

 Bayern 3, 12.06.96  Gerichtsbarkeit im Mittelalter
 Denkmaltopografie des Odenwaldes  Beerfelder Galgen
 Heinrich Grund  Hess. Rechtsdenkmäler, Volk und Scholle 1935
 Jakob Haas  Die Heimat 11/1937, Beerfelder Galgen
 Friedrich Höreth  Ein Gerichtstag in alter Zeit – Was uns der Odenwald erzählt Bd 1
 Christina und Michael Horn  Zeitreise durch Hessen
HR 3 City 1996 Galgen Beerfelden
HR 3 03. 02. 97  Wir in Hessen
Dr. H. Kumpf Odenwaldheimat 6/2015 Die Enthauptung des Hans Seitz
Dr. H. Kumpf Odenwaldheimat 2, 3/2016 Neues und Altes zum Beerfelden Galgen
Kreisarchiv 29.06.2020 Beerfelden, die Stadt am Berge
Friedrich Mößinger Denkmäler unserer Heimat 4/1949
Karl Morneweg Beerfelden zur 600-Jahrfeier
Georg Schäfer Kunstdenkmäler im Großherzogtum
Kurt Siefert Der Galgen bei Beerfelden/Odenwald
SWR 3, 05.10.02  Galgenplatz als Sühnekreuz
Touristik-Info Beerfelder Land Beerfelder Galgen-Kropf als Lebensretter
Wikipedia Ewiger Landfrieden
Beerfelder Galgen
Blutgerichtsbarkeit
Richtstätte
Manfred Kassimir

Text und Bilder

 

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