Die Renneklopper im Odenwald
oder
die OdenwÀlder BriggelschÀiler


(von Manfred Kassimir)

HĂŒgel, Wald und Wasser ist das typische Erscheinungsbild, das den Odenwald prĂ€gt. Der Odenwald liegt zwischen Rhein, Main und Neckar. Seine Ausdehnung in Nord-SĂŒdrichtung liegt bei ca. 60 km, in der Ost-Westrichtung bei ca. 40 Kilometer. Aber nicht durch dunkle FichtenwĂ€lder, sondern durch den bunten Mischwald, insbesondere durch die Eiche, erhielt der Odenwald sein einzigartiges Aussehen. Die EichenwĂ€lder zeichneten sich nicht durch alte, hochgewachsene StĂ€mme aus, sondern durch den Bestand von EichenniederwĂ€ldern und nahmen im sĂŒdlichen Odenwald eine bedeutende Stellung ein. Mittlerweile gehört der Niederwald der Vergangenheit an, war aber fĂŒr die OdenwĂ€lder Bevölkerung bis dahin von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Bis 1962 erschallte regelmĂ€ĂŸig im FrĂŒhjahr zwischen Ende April und Juni ein vielseitiges, melodisch rhythmisches Klopfen aus den WĂ€ldern des sĂŒdlichen Odenwaldes. Das Klopfen wurde durch die sogenannten „Renneklopper“ erzeugt, die die Eichenrinde bei beginnenden Saftfluss von den EichenprĂŒgel lösten, um Gerbstoffmaterial, die „Lohe“, an die Leder verarbeitende Industrie zu liefern. Die Industrie benötigte die „Lohe“ um aus TierhĂ€uten- und Fellen haltbares Leder herzustellen. In kleinerem Ausmaß war auch die Pharmazie Abnehmer fĂŒr medizinische Produkte. Das weithin hörbare Klopfen wurde durch das Schlagen mit dem BeilrĂŒcken auf die Rinde der EichenprĂŒgel erzeugt, um die Rinde von dem Stamm zu lösen. Daher der Ausdruck „Renneklopper“.

Zur Geschichte:

Nach dem 30-jĂ€hrigen Krieg war der Bestand an WĂ€ldern im Odenwald durch VerwĂŒstung stark dezimiert. Erste planvolle Anstrengungen wurden unternommen, um den Raubbau an den WĂ€ldern zu beenden und diese wieder zum Nutzen der Menschen aufzuforsten. Bereits 1692 wurde durch den Landgrafen Ernst Ludwig die Aufforstung des Odenwaldes eindeutig geregelt. Es betraf den grĂ€flichen Forstbestand gleichermaßen wie den Gemeinde- und Privatwald.
Aus dieser Zeit stammt der Begriff „Hackwald“. Brachliegendes GelĂ€nde wurde durch die Einpflanzung von Traubeneichen (quereus petraea) wieder nutzbar gemacht. Es entstand der „Eichenniederwald“, der in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden abgeerntet wurde, um so den begehrten Gerbstoff „Tannin“ fĂŒr die Lederherstellung zu gewinnen.
Der „Hackwald“ wurde in 15 etwa gleichgroße Parzellen aufgeteilt, „Schlag“ genannt. Die wiederum wurden in „Loose“ unterteilt“ (1 Loos 2500 qm) und im Abstand von jeweils einem Jahr mit Jungtrieben der Traubeneiche aufgeforstet. Um den Niederwald aufzuforsten, wurden Eicheln gesammelt und in PflanzgĂ€rten zum Austreiben gebracht. Nach ca. 5-6 Jahren waren die Triebe soweit, dass diese im „Hackwald“ ausgesetzt werden konnten. FĂŒr ein „Loos“ wurden etwa 800 Setzlinge benötigt.
So war es möglich, in einem Rhythmus von 15 Jahren die Eichenrinde zu ernten. Mit 15 Jahren Wachstum besitzt die Eichenrinde den höchsten Anteil des Gerbstoffes „Tannin“, ca. 20 %. Bei Ă€lteren StĂ€mmen kommt es zu QualitĂ€tsverlust und daher auch zu entsprechenden finanziellen Einbußen beim Verkauf der Rinde.
Vorbereitung:
An jedem zweiten Montag im MĂ€rz wurden die zur Ernte vorgesehenen SchlĂ€ge in Loose aufgeteilt und versteigert. Die Ersteigerung eines „ Looses“ bedeutete, dass fĂŒr die nĂ€chsten 2 Jahre weiterer Nutzen aus dem Areal gezogen werden konnte. Aber auch die weitere Pflege und Aufbereitung der FlĂ€che war mit dieser Ersteigerung verbunden.
Die Abgrenzung der EinschlĂ€ge war durch hohe EichenstĂ€mme, „Laßreitel“ genannt, markiert oder mit den sogenannten „Loogsteinen“ gekennzeichnet, die auf ihrer Oberseite mit entsprechenden Markierungen versehen waren, die den Grenzverlauf anzeigten.
Die Rindenernte war fĂŒr die Bevölkerung des Odenwaldes ein willkommenes Zubrot zu dem sonst kĂ€rglichen Einkommen. Zum „Rennekloppe“ ging die ganze Familie in den Wald um mitzuhelfen. Jeder packte nach seinen Möglichkeiten mit an, um die zu erledigende Arbeit zu verrichten. Schulkinder, die bei der Rindenernte mithalfen, erhielten ganz offiziell „Rinderferien“.
Privatwaldbesitzer ließen die Rindenernte durch Lohnarbeit aufbereiten. Bevor die eigentliche Ernte beginnen konnte, musste das StĂŒck „Hackwald“ durchforstet und gereinigt werden. „ Raumholz“, bestehend aus Birke, Hasel, Weide usw. musste entfernt werden und war als Heizmaterial sehr begehrt.
Das Rennekloppe:
Noch im Dunkeln, wenn der Mond noch ĂŒber den Bergen und TĂ€lern des Odenwaldes schien, machten sich die MĂ€nner auf den Weg in den Hackwald. Sie trugen ihr Werkzeug bei sich, das sie fĂŒr die schweißtreibende Arbeit, das Abhacken der 15-jĂ€hrigen EichenstĂ€mmchen benötigten.
Der geeignetste Zeitpunkt zur Rindenernte war die erste Blattentwicklung der Eiche und der Aufbruch der Knospen (Die Eichen bekamen Ohren).
Die restlichen Familienangehörigen folgten spÀter nach.
Mit einem scharfen Beil wurden die kleinen EichenstĂ€mme im Bereich des Wurzelstocks schrĂ€g abgehackt und entastet. Das „schrĂ€g abhacken“ diente dazu, dass die Wurzelstöcke spĂ€ter die Möglichkeit hatten, wieder neu auszutreiben. Der Axthieb musste möglichst in Ost- oder Nordrichtung schrĂ€g nach unten verlaufen. Somit war gewĂ€hrleistet, dass die HiebflĂ€che durch Sonneneinstrahlung nicht austrocknete. Die SchnittflĂ€che wurde mit Laub und Erdplacken abgedeckt umso das spĂ€tere Austreiben des Wurzelstockes und die VerjĂŒngung des Eichenniederwaldes zu ermöglichen. Der gefĂ€llte Stamm wurde auf ca. ein Meter LĂ€nge zurecht geschnitten und gelagert.
Mit Tagesanbruch begann das SchĂ€len der Rinde durch die hinzu gekommenen Familienangehörigen. Bis zu 16 Arbeitsstunden waren keine Seltenheit. Die Arbeitsleistung eines „Rennekloppers“ lag bei 4-8 Bund am Tag.
Zur Vorbereitung des SchÀlens wurde ein starker Kopfstamm am unteren Ende zugespitzt und in den Boden gerammt.
Eine andere Möglichkeit der Vorbereitung bestand darin, einen Klopfbock zu verwenden. Dieser Klopfbock bestand aus zweimal zwei ĂŒberkreuz in den Boden gerammte PrĂŒgel. In die Gabeln wurde ein stĂ€rkerer Stamm als Widerlager eingelegt. Nun war der Arbeitsplatz vorbereitet und mit dem eigentlichen SchĂ€len konnte begonnen werden.
Die Frauen, die meistens die Arbeit des SchĂ€lens verrichteten, nahmen einen EichenprĂŒgel und legten diesen auf den Kopfstamm oder das Widerlager. Mit der RĂŒckseite eines Beiles wurde die Rinde des PrĂŒgels solange in LĂ€ngsrichtung geklopft, bis diese aufsprang. Mit Hilfe eines „Lohlöffels“, dem sogenannten „Schinner“, wurde die Eichenrinde am StĂŒck vom Stamm gelöst. Der Schinner war ein HolzstĂŒck, das an einem Ende gebogen und spitz zugeschnitzt war. Mit dem spiten Teil wurde unter die aufgebrochene Rinde gefahren und komplett vom Stamm gelöst.
Die Rinde selbst wurde zum Trocknen auf Böcke abgelegt. Diese Böcke wurden ebenfalls direkt am Arbeitsplatz hergestellt. Hierzu wurde ein PrĂŒgel waagrecht auf den Boden gelegt, zwei PrĂŒgel wurden ĂŒber Kreuz in den Bodengerammt. Zwei Kreuze bildeten einen Bock. Das offene Teil der abgeschĂ€lten Rinde wurde nach unten gedreht, so dass bei einsetzendem Regen der enthaltene Gerbstoff nicht ausgewaschen werden konnte. Ein mit Rinde gefĂŒllter Bock wurde als Gebund bezeichnet und sollte zw. 20-25 Pfund wiegen. Das Gebund wurde so lange gelagert, bis es „rappeldĂŒrr“ war. Hatte das Gebund die nötige Trocknung erreicht, wurde dieses gebunden und zu einer sogenannten „Arche“ zusammen getragen und mittels RĂŒckeschlitten, Ochsengespann, spĂ€ter mit Lkw, an den Sammelort gebracht. Der Trocknungsgrad der Rinde erkannte man beim ZusammendrĂŒcken. Brach die Rinde, war sie „reif“. Ein Gewichtsverlust bis zu 50 % war die Regel. Der Trocknungszustand wurde von dem zustĂ€ndigen Förster ĂŒberwacht.
Die geerntete Rinde wurde nach Hirschhorn am Neckar gebracht, wo sie zur Versteigerung an stand. Mittels Neckarschlepper wurde die Rinde an ihren Bestimmungsort geliefert. Ein weiterer großer Lagerplatz war der Bahnhof in Beerfelden. Dort befanden sich zwei große Lagerhallen, in denen die Rinde bis zum Weitertransport zwischengelagert wurde. Von dort aus wurde die Rinde mittels „Schellekaddel“ (Eisenbahn) an ihren Bestimmungsort transportiert.
Bedeutendster Abnehmer der Rinde war die Firma Freudenberg in Weinheim, der grĂ¶ĂŸte Lederproduzent Deutschlands.
Die geschĂ€lten PrĂŒgel (Briggel) wurden zur weiteren Verwendung auf einen Haufen geworfen. Das dabei verursachte GerĂ€usch gab den geworfenen PrĂŒgeln die Bezeichnung „Klapper“, denn diese verursachten ein klapperndes GerĂ€usch beim Aufeinandertreffen.
Die „Klappern“ waren ein begehrter Rohstoff fĂŒr die ansĂ€ssigen Köhler, die die PrĂŒgel gerne fĂŒr ihre Kohlenmeiler zur Herstellung der Holzkohle nutzten.
„Klappern“ unter 7 cm Durchmesser wurde als Feierabendholz bezeichnet und konnte von den Rennekloppern kostenlos mit nach Hause genommen werden.
Unmittelbar nach der Rindenernte folgte das „Überlandbrennen“, das „Schmoden“. Um das Überlandbrennen zu entfachen, wurden Klopffackeln verwendet. Die Kopffackeln sind Klappern, die an einem Ende mittels BeilrĂŒcken so stark beklopft wurden, dass sie ausfaserten und so die Wirkung einer Pechfackel entwickelten. Das zurĂŒck gelassene Reisig, Laub und Heideplacke wurde abgeflammt. Ein positiver Effekt bestand darin, dass vorhandenes Ungeziefer durch das „Schmoden“ vernichtet wurde. Die zurĂŒckbleibende Asche wurde zusammen mit Heidekorn (Buchweizen) untergehackt (Waldfeldbau). Diese Arbeit musste bis zum 24. Juni beendet sein, um das erneute Ausschlagen des noch vorhandenen Wurzelstockes nicht zu gefĂ€hrden.
Das schnellwachsende Heidekorn konnte bereits im Oktober mittels Handsichel geerntet werden. Im folgenden FrĂŒhjahr wurde noch einmal Heidekorn oder Roggen ausgesĂ€t und geerntet. Die nĂ€chsten 15 Jahre wurde das Loos sich selbst ĂŒberlassen, bis dann die nĂ€chste Rindenernte bevorstand.

Weiterverarbeitung der Eichenrinde
Die Eichenrinde wurde in einzelnen ArbeitsgĂ€ngen klein gehĂ€ckselt und schließlich in einer MĂŒhle (LohmĂŒhle) gemahlen. Es entstand die „Lohe“. Das Wort „Lohe“ stammt aus dem mittelhochdeutschen Sprachgebrauch „lo“ und heißt so viel wie schĂ€len/abreißen. Die „Lohe“ wurde in eine große Grube eingebracht und gewĂ€ssert. Die frischen TierhĂ€ute, insbesondere RinderhĂ€ute, wurden in die LohbrĂŒhe eingelegt, wo sie ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum verblieben. Durch die in der „Lohe“ enthaltene GerbsĂ€ure „Tannin“ wurden die HĂ€ute haltbar gemacht und konnten als Leder zur Herstellung von Schuhsohlen, Stiefeln und SĂ€ttel weiter verarbeitet werden. Das Leder war strapazierfĂ€hig und widerstandsfĂ€hig gegen Wasser und schwache SĂ€uren.
Diese Art der Haltbarmachung von TierhĂ€uten wird als Lohgerberei oder Rotgerberei bezeichnet. HĂ€ute von Rindern, Ziegen oder Rotwild wurden auf diese Art und Weise gegerbt. HĂ€ute von Kleintieren wurden unter Zuhilfenahme von Tonsalzerden, besonders Aluminiumchlorid und Kochsalz haltbar gemacht (Weißgerberei).
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts verlor die Eichenrindenernte an Bedeutung. Insbesondere chemische Produkte, die billiger herzustellen waren und den Gerbprozess beschleunigten, verdrÀngten die traditionell geerntete Eichenrinde vom Markt.
Wurden in der Hochzeit der Rindengewinnung bis zu 70.000 Zentner Eichenrinde geerntet, waren es am Ende nur noch 9.000 Zentner Eichenrinde.
Eine Wiederbelebungsphase erlebten die „Renneklopper“ in der Zeit des 1. und des 2. Weltkrieges. Deutschland war von Importen aus dem Ausland abgeschnitten, so dass auf heimische Produkte zurĂŒckgegriffen werden musste. Die Eichenrindenernte wurde im sĂŒdlichen Odenwald, insbesondere im Bereich Beerfelden aufrechterhalten. Bis 1962 betrieb die Fa. Tröster in Beerfelden, Eichenrindenhandel und verschubte die Rinde mit der Eisenbahn an ihren Bestimmungsort. Mit der Einstellung des Nebenbahnbetriebes „Schellekaddel“ von Beerfelden nach Hetzbach kam auch dieser Handel endgĂŒltig zum Erliegen.



Quelle:

Beerfelden im Wandel der Zeiten  
Heimatmuseum Beerfelden  
Museumsstraße Bergstraße-Odenwald  
„Rennekloppe“ in Beerfelden Dieter Borck
Rennekloppen beim Brunnenfest (pab) DarmstÀdter Echo 11.05.2010
Klopfkonzert der „Renneklopper“ Michael Hahn
Der SchÀlwaldbetrieb und das RindenschÀlen K. A. Spies
Unser Odenwald Dr. F. Maurer
Was uns der Odenwald erzÀhlt Bd. II Otto Schwamb
Der Wald um Hirschorn Helmut Sulzmann
Lohrindengewinnung – Breubergbund Nr. 4/12 Richard Wagner
Geschichte u. Bewirtschaftung d. Niederwaldes im sĂŒdl. Odw. Richard Wagner
Altes Handwerk im Odenwald Otto Weber
Lohgerber, Gerbstoffe, LohmĂŒhle, Gerberlohe, Lohhecke Wikipedia
Bei den „Rennekloppern“ im Odenwald –Volk und Scholle 1934 Heinrich Winter
Mein besonderer Dank gilt dem Heimatmuseum Beerfelden, hier insbesondere Herrn Karl Kaaden, der mit ErklĂ€rungen und Bildmaterial zum Gelingen dieses Aufsatzes beigetragen hat. Ebenso gilt mein Dank dem Überwaldmuseum Wald-Michelbach, hier Frau Anneliese Daub, die mir fĂŒr ErklĂ€rungensehr viel Freizeit geopfert und ebenfalls zum Gelingen dieses Beitrages beigetragen hat.